Artikel19. Juli 2023

Augen auf! Diese 8 Regisseurinnen solltest du im Blick behalten

Augen auf! Diese 8 Regisseurinnen solltest du im Blick behalten
© IMDb

Von echter Gleichberechtigung kann in der Filmbranche noch keine Rede sein. Gerade im Regiebereich sind Männer nach wie vor präsenter, erhalten höhere Budgets, dürfen prestigeträchtigere Projekte umsetzen. Ein genauer Blick zeigt aber: Frauen holen auf. Immer mehr Filmemacherinnen hinterlassen auf internationalem Parkett Spuren, setzen thematische und stilistische Akzente. Zum Start von Greta Gerwigs «Barbie» wollen wir euch 8 spannende Regisseurinnen vorstellen, die das Kino prägen werden.

von Christopher Diekhaus

Greta Gerwig: Eine Mumblecore-Ikone erobert Hollywood

Greta Gerwig am Set von «Barbie» © IMDb

Bekanntheit erlangte Greta Gerwig zunächst als Darstellerin und Drehbuchautorin in der sogenannten Mumblecore-Bewegung. Gemeint ist damit eine Richtung des US-amerikanischen Independent-Kinos, die sich auf die Abbildung realitätsnaher zwischenmenschlicher Probleme konzentriert, stark mit Improvisation arbeitet, Laiendarsteller einbezieht und eine handgemachte Bildsprache bevorzugt. Eine Antithese zur Illusionsmaschinerie Hollywoods also. Gerwig stieg schnell zu einer Art Star dieser Szene auf und inszenierte zusammen mit Joe Swanberg, einem der kreativen Köpfe der Mumblecore-Gruppe, den 2008 erschienenen Streifen «Nights and Weekends», der um eine Fernbeziehung kreist.

Nach Mainstream-Erfolgen in den 2010er Jahren mit Darbietungen in «Frances Ha» und «Mistress America» brachte Gerwig 2017 ihren ersten vollständig eigenhändig gedrehten Film heraus. «Lady Bird» ist stark von persönlichen Erfahrungen geprägt und erweist sich als erfrischend unkonventionelle Coming-of-Age-Erzählung. Wenig verwunderlich sticht vor allem die gute Schauspielführung Gerwigs hervor, die zusammen mit Hauptdarstellerin Saoirse Ronan eine faszinierend widerspenstige Figur entwirft. Ihr Händchen für die Arbeit mit den Mimen zeigt sich noch deutlicher in der stargespickten Literaturadaption «Little Women» von 2019. Grosse Gefühle beschwört die Regisseurin auf behutsam-einfühlsame Weise und verhandelt eines ihrer Lieblingsthemen, weibliche Emanzipation, in gewitzt-mitreissender Art.

Dass die Independent-Ikone als Nächstes ausgerechnet einen Film über Barbie, den Inbegriff eines traditionellen Frauenbildes, angehen würde, durfte verwundern. Auch in diesem Fall gelingt es Gerwig aber, eine feministische Perspektive einzubauen. Spätestens jetzt ist sie in Hollywood angekommen. Und wer weiss, welch ungewöhnliche Entscheidungen sie in Zukunft noch treffen wird…

Chloé Zhao: Dem wahren Leben auf der Spur

Chloé Zhao mit ihren Oscars für «Nomadland» © 2021 Getty Images

In China geboren, kam Chloé Zhao über England in die USA, wo sie sich dem Filmemachen verschrieb. Schon ihr Regiedebüt «Songs My Brothers Taught Me» aus dem Jahr 2015 führte die Regisseurin und Drehbuchautorin in ein Ureinwohnerreservat in South Dakota. Vor der Kamera agieren zahlreiche Laiendarsteller, die zum Teil eigene Erlebnisse nachspielen. Gleiches gilt für ihr Folgewerk «The Rider», ein in der Gegenwart verankertes Westerndrama, das den beschwerlichen Alltag eines durch einen Unfall zurückgeworfenen Rodeo-Reiters beschreibt. Ein bedächtiger Erzählrhythmus und eine fast dokumentarische, auf effekthascherische Mittel verzichtende Inszenierung kristallisieren sich hier als Markenzeichen Zhaos heraus.

Ihren grössten Triumph feierte sie mit dem preisgekrönten semi-fiktionalen Roadmovie «Nomadland», das Frances McDormand in der Rolle einer modernen Nomadin zeigt. Nicht nur die Hauptdarstellerin erhielt für ihre ungekünstelte Performance einen Oscar. Auch Zhao durfte sich über einen Goldjungen für ihre Regieleistung freuen – und empfahl sich in Hollywood für höhere Aufgaben. Mit «Eternals» wagte sie den Sprung ins Big-Budget-Segment und übernahm die kreative Leitung eines Marvel-Blockbusters. Nicht alles in dem Superheldenstreifen funktioniert. Zu spüren ist allerdings immer wieder, dass Zhao ihre individuelle Handschrift einzubringen versucht. Ob sie nach dieser Erfahrung Lust auf einen weitere Studioproduktion hat, oder doch lieber zu ihrem intimen Ansatz zurückkehrt?

Julia Ducournau: Gegen den Strich

Julia Docournau beim SXSW Festival © Diego Donamaria / Getty Images for SXSW

Eine der aufregendsten Stimmen im französischen Gegenwartskino ist Julia Ducournau, die gleich mit ihrem Kinodebüt «Raw» für mächtig Aufsehen sorgte. Vordergründig handelt es sich um einen mitunter beklemmenden Body-Horror-Film, der davon erzählt, wie eine junge Veterinärstudentin Lust auf Menschenfleisch entwickelt. Im Kern geht es aber um die Ängste vor dem Übertritt in die Erwachsenenwelt.

Grenzüberschreitungen und körperliche Veränderungen spielen auch in ihrem zweiten Werk «Titane», das in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, eine wichtige Rolle. Losgelöst von einer klassischen Erzähllogik, entwirft Ducournau darin das Porträt zweier Menschen, die verzweifelt nach Halt und Geborgenheit suchen. Der Film spielt mit Farben, Zeitlupentechnik, Musik, erzeugt eine entrückte Atmosphäre, hinterfragt vermeintliche Geschlechtergrenzen und schafft es trotz bizarrer Wendungen, eine enorme emotionale Wucht zu entfalten. Kino, das einfach erlebt werden will! Für Apple TV+ inszenierte die eigenwillige Filmemacherin vor kurzem zwei Folgen der Serie «The New Look» über das Modehaus Dior. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihrem wilden, unangepassten Stil auch auf dem englischsprachigen Parkett treu bleiben kann.

Ana Lily Amirpour: Die stilbewusste Genremixerin

Ana Lily Amirpour © Jacopo Salvi - Fpro.it

Kann ein Film, der eine Vampirromanze mit Western- und Film-noir-Elementen kreuzt, wirklich funktionieren? Allerdings, wie Ana Lily Amirpours Langfilmdebüt beweist! Mit der auf Farsi gedrehten, in stimmungsvolle Schwarz-Weiss-Bilder getauchten Schauermär «A Girl Walks Home Alone at Night» lieferte die in England geborene Regisseurin und Drehbuchautorin iranischer Eltern 2014 eine vor allem stilistisch bemerkenswerte Visitenkarte ab. Im Anschluss drehte sie den romantischen Endzeitstreifen «The Bad Batch», der auf ein nicht ganz so überschwängliches Kritikerecho stiess.

Nach diversen Fernseharbeiten, etwa für die Serien «Castle Rock» und «The Twilight Zone», kehrte Amirpour 2021 zum Film zurück. «Mona Lisa and the Blood Moon» dreht sich um eine Psychiatriepatientin mit telekinetischen Fähigkeiten, die sich nach ihrem Ausbruch zu behaupten lernt. Märchen, Horror, Coming-of-Age-Kino und Superheldenideen gehen hier eine spannende Mischung ein. Selbstredend stellt die Regisseurin zudem abermals ihr Händchen für die audiovisuelle Gestaltung unter Beweis. Neonfarben, Technobeats und markante Kameraspielereien lassen einen echten Sog entstehen. Seltsam, dass die grossen Studios da noch nicht angeklopft haben…

Céline Sciamma: Expertin für den weiblichen Blick

Céline Sciamma © 2019 David M. Benett

Junge Protagonistinnen, das Leben in französischen Vororten und die Suche nach der sexuellen Identität sind hervorstechend im Schaffen der 1978 geborenen Filmemacherin Céline Sciamma. Immer wieder richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf den weiblichen Blick, das weibliche Empfinden und beleuchtet den Prozess des Erwachsenwerdens mit all seinen verunsichernden Begleiterscheinungen. Anders als im US-Kino, wo das erotische Erwachen in der Pubertät oft für Slapstick-Komödien herhalten muss, setzt sie sich in ihrem Debütwerk «Water Lilies» damit auf ernsthafte Weise auseinander. Der berührend inszenierte Nachfolger «Tomboy» erzählt von einem 10-jährigen Mädchen, das sich nach dem Umzug seiner Familie als Junge ausgibt. In «Mädchenbande» wiederum nähert sich Sciamma dem Alltag in den Banlieues von Paris aus der Perspektive einer Clique schwarzer Teenagerinnen.

Ihren bislang grössten Erfolg verbuchte die Regisseurin und Drehbuchautorin mit dem Historiendrama «Portrait de la jeune fille en feu», das in einer rigiden gesellschaftlichen Ordnung die Liebe zweier Frauen schildert. Besetzt ist der klug konstruierte und kraftvoll bebilderte Film in einer der beiden Hauptrollen mit Adèle Haenel, die bis 2018 in einer Beziehung mit Céline Sciamma lebte. Mit ihrer bislang letzten Regiearbeit «Petite maman», die von der Begegnung eines Mädchens mit ihrer Mutter im Kindesalter handelt, verpasste die Leinwandkünstlerin dem Zeitschleifen-Kino eine reizvolle Auffrischung. Egal, was Sciamma als Nächstes anpackt – die Stimme der Frauen wird darin nicht zu kurz kommen.

Nia DaCosta: Hinterland-Trouble und der Horror des Rassismus

Yahya Abdul-Mateen II und Nia DaCosta am Set von «Candyman» © 2020 Universal Pictures and MGM Pictures

Nicht von ungefähr wurde «Little Woods», das Spielfilmdebüt der afroamerikanischen Regisseurin und Drehbuchautorin Nia DaCosta, mehrfach mit Debra Graniks Hinterlandthriller «Winter’s Bone» verglichen. Hier wie dort geht es darum, den Verlust eines Hauses zu verhindern. Und in beiden Fällen herrscht eine bedrückend-deprimierende Provinzstimmung vor. DaCostas Geschichte zweier Schwestern zieht in den Bann und glänzt mit starken Schauspielleistungen. Allen voran Tessa Thompson überzeugt als unter Bewährungsaufsicht stehende junge Frau, die in den Handel mit Rauschmitteln verstrickt ist.

In ihrer zweiten Regiearbeit wagte sich die Filmemacherin an den Horrorstreifen «Candyman», ein Art geistige Fortsetzung des gleichnamigem Schockers von Bernard Rose. Im Zentrum der Schauermär stehen die grauenvollen Erfahrungen der ausgebeuteten und diskriminierten Afroamerikaner – erdrückend unheimlich illustriert in Form eingestreuter Schattenspiele mit Papierfiguren. Nach nur zwei abendfüllenden Werken erhielt DaCosta den Schlüssel zum Superheldenreich. Mitte November 2023 kommt der von ihr inszenierte «The Marvels» in die Kinos, eine Fortsetzung des 2019 veröffentlichten Blockbusters «Captain Marvel».

Jennifer Kent: Kompromisslose Australierin

Jennifer Kent © IMDb

Der Einstieg in die Filmbranche gelang Jennifer Kent über die Schauspielerei, an der sie in den 2000er Jahren jedoch die Lust verlor. Über einen Assistenzjob bei Lars Von Triers «Dogville» sammelte die 1969 geborene Australierin dann erste Erfahrungen hinter der Kamera. 2014 legte sie mit «Der Babadook» ihr Debüt als Regisseurin und Drehbuchautorin vor. Das psychologisch ausgefeilte, vom Stil des Deutschen Expressionismus inspirierte Horrordrama um die Trauer und den Schmerz einer alleinerziehenden Mutter schlug international hohe Wellen. Selbst Altmeister William Friedkin («Der Exorzist») zeigte sich begeistert, bezeichnete Kents Arbeit als den gruseligsten Film, den er je gesehen habe.

Nach diesem fulminanten Auftakt widmete sich die gefeierte Filmemacherin einem nicht minder erschreckenden Stoff, der tief in der grausamen Kolonialgeschichte ihres Heimatlandes verwurzelt ist. Mit Mitteln des Horrors spielend, beschreibt «The Nightingale», wie eine junge Frau, die sexuell missbraucht und deren Kind und Mann brutal ermordet wurden, auf der Suche nach dem Täter mit einem Ureinwohner Freundschaft schliesst. Ihr Interesse an düsteren Geschichten belegte Kent auch durch ihr Mitwirken an der Schauer-Anthologie-Serie «Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities». Die Filmplattform IMDb weist als nächstes Projekt der Regisseurin die Adaption des Tatsachenbuches «Alice + Freda Forever» aus, das eine dramatisch eskalierende Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen vom Ende des 19. Jahrhunderts skizziert. Wetten, dass Kent auch hier dahinschauen wird, wo es wehtut!?

Emerald Fennell: Radikaler #MeToo-Kommentar

Emerald Fennell beim Sundance Festival © IMDb

Wie viele ihrer Kolleginnen aus dieser Liste verdiente sich die Britin Emerald Fennell zunächst ihre Sporen als Schauspielerin. An der positiv aufgenommenen Fernsehserie «Killing Eve» arbeitete sie dann auch als Drehbuchautorin mit. Nach eigenem Skript entstand das 2020 veröffentlichte Rachedrama «Promising Young Woman», mit dem Fennell ihr Debüt als Regisseurin gab. Eine entfesselt aufspielende Carey Mulligan verkörpert darin eine junge Frau, die nach der Vergewaltigung einer Studienfreundin Männer in eine Falle lockt und mit ihren zerstörerischen Raubtierseiten konfrontiert.

Satirisch angehaucht, versteht sich das Werk als Attacke auf die durch die #MeToo-Bewegung zum Vorschein gekommenen Missbrauchsstrukturen. Gleichzeitig ist «Promising Young Woman» ein Paradebeispiel für einen Film mit einer vielschichtigen, kantigen Frauenfigur, wie wir sie im Mainstreamkino leider noch immer viel zu selten zu sehen kriegen. Was Emerald Fennell betrifft, müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht noch das ein oder andere aufrüttelnde Werk als Regisseurin und Autorin abliefern würde.

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