Sir Indien 2018 – 99min.

Filmkritik

Eine etwas andere Cinderella-Story

Irina Blum
Filmkritik: Irina Blum

Eine moderne Cinderella-Story ohne Bollywood, dafür einer ganzen Menge Sozialkritik: So könnte man das indische Drama Sir betiteln, in dem eine junge Witwe vom Land ihr Glück in der indischen Metropole Mumbai sucht.

Ratna (Tillotama Shome), eine verwitwete junge Frau vom Land, arbeitet in der pulsierenden Metropole Mumbai beim reichen Unternehmersohn Ashwin (Vivek Gomber) als Hausangestellte und kann so ein relativ eigenständiges Leben führen. Ein Glücksfall, denn Witwen haben in ländlichen Gebieten Indiens wenig bis gar keine Rechte. Doch Ratna hätte gerne studiert und lässt sich ihren ambitionierten Traum nicht ausreden, eines Tages als Modedesignerin ihr Geld zu verdienen. Als ihr Hausherr nach seiner geplatzten Vermählung in der selbstbewussten Ratna nicht nur Trost, sondern auch eine ebenbürtige Gesprächspartnerin findet, kommen sich die beiden langsam näher…

Natürlich ist das Umfeld wenig begeistert von der Verbindung, die sich zwischen der ungebildeten, aber intelligenten Ratna und dem aus gutem Hause stammenden Ashwin anbahnt. Ratnas Schwester befürchtet, Ratna könnte lediglich als Betthäschen benuzt werden, und bei einem frühzeitigen Ende der Liaison definitiv am unteren Ende der Gesellschaft angekommen sein. Ashwins Mutter hingegen kann nicht tolerieren, dass ihr Sohn sich auf eine Bedienstete einlässt – die im indischen Klassensystem auf keinste Art und Weise mit ihrem Sohn mithalten kann. Regisseurin Rohena Gera zeichnet die Annäherung zwischen diesen zwei Figuren sehr subtil und zart; es sind die ruhigen Momente, in denen mehr die Blicke und die Gesten zählen als das gesprochene Wort. Die Anziehung zwischen den beiden scheint aber von Beginn an glaubhaft, was wohl auch der guten Chemie zwischen Tillotama Shome und Vivek Gomber zu verdanken ist.

Man könnte Sir auch als moderne Cinderella-Story abseits vom Bollywood-Kitsch bezeichnen: Eine gefallene Witwe gewinnt einen reichen Unternehmersohn für sich und schafft damit den sozialen Aufstieg. Doch so rosig ist die Erzählung in Sir dann doch nicht: Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass diese Liebe wirklich im Hier und Jetzt spielt – wenn Ashwin zum Beispiel von seinem Leben in New York erzählt, wo er völlig frei von gesellschaftlichen Konventionen tun und lassen konnte, wie er beliebte. Noch einschneidender sind die hiesigen Regeln für Ratna: Als Witwe darf sie in ihrem Dorf keinen Schmuck tragen und nicht an Familienfeiern teilnehmen – weshalb sie auch an der Hochzeitszeremonie ihrer eigenen Schwester nicht anwesend ist. Die Kritik am indischen Klassensystem sorgt dafür, dass diese wunderschön zarte und nur ansatzweise märchenhafte Liebesgeschichte eine bittersüsse Note bekommt – und mit Authentizität statt Kitsch punkten kann.

16.02.2024

4

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