Artikel28. Februar 2024

Filmwissen: Denis Villeneuve: Zwischen Bombast und künstlerischer Ambition

Filmwissen: Denis Villeneuve: Zwischen Bombast und künstlerischer Ambition
© IMDb | Luis Ricardo Montemayor Cisneros | 2015 Lionsgate

Denkt man an episches Hollywood-Kino, das auf Anspruch nicht verzichtet, kommen einem gegenwärtig vor allem zwei Filmschaffende in den Sinn. Neben Christopher Nolan steht der Frankokanadier Denis Villeneuve für spektakuläre Unterhaltung, die nicht nur seichten Eskapismus bietet. Anlässlich des Starts von «Dune: Part Two» wollen wir ihn und seine Karriere etwas genauer beleuchten.

von Christopher Diekhaus

Steiler Aufstieg

Pascale Bussières and Alexis Martin in «Der 32. August auf Erden» (1998) © IMDb

Nur wenige Filmemacher:innen können in den letzten zehn Jahren auf einen ähnlichen Karriereschub zurückblicken wie Denis Villeneuve. Binnen kurzer Zeit wechselt der im französischsprachigen Teil Kanadas geborene Regisseur von international beachteten, aber finanziell beschränkten Independent-Kino in das Big-Budget-Segment Hollywoods und macht es sich dort trotz eines Kassenflops – «Blade Runner 2049» bleibt 2017 hinter den Erwartungen zurück – bequem. Das Spannende an ihm: Wo andere Leinwandkünstler:innen mit dem Wechsel in die US-Traumfabrik ihren persönlichen Stil einbüssen, ihre Visionen beschneiden lassen, kann sich Villeneuve immer wieder Eigenständigkeit bewahren. Wahrscheinlich ein Triumph seiner Sturheit in kreativen Fragen, auf die er selbst oft zu sprechen kommt.

Dass in ihm ein experimentierfreudiger Regisseur steckt, beweist der Frankokanadier bereits zu Beginn seiner Laufbahn. Nach diversen Musikvideos und seinem Spielfilmdebüt «Der 32. August auf Erden» (1998) legt er im Jahr 2000 mit «Maelström» eine erfrischend fabulierlustige Läuterungsgeschichte vor. Im Zentrum: eine junge Frau, die den Sohn des Mannes kennenlernt, den sie in angetrunkenem Zustand totgefahren hat. Was nach einem zermürbenden Drama klingt, bekommt durch skurrile Einfälle eine überraschende Leichtigkeit. Besonders amüsant: ein Fisch als Erzähler, der seinem Ableben entgegenblickt.

Marie-Josée Croze in Maelström (2000) © IMDb

Villeneuves hohe Ansprüche an sein eigenes Schaffen belegt ein mehrjähriger Rückzug aus dem fiktionalen Filmgeschäft. Erst 2009 betritt er wieder die grosse Bühne – und das mit einem echten Knall. Preisgekrönt, aber auch kontrovers diskutiert wird das Drama «Polytechnique», das den aus misogynen Motiven begangenen Amoklauf an einer Hochschule in Montreal aus dem Jahr 1989 rekonstruiert. In sorgsam komponierten Schwarz-Weiss-Bildern dokumentiert der Film das ungeheuerliche Grauen, ohne ins Psychologisieren zu verfallen. Womöglich ist es genau dieser Verzicht auf eine Deutung, der das Geschehen so verstörend macht.

Moralische Grautöne bevorzugt

Der Mut, unbequeme Stoffe anzupacken, ins Risiko zu gehen, zeichnet auch Villeneuves Hollywood-Produktionen aus. Ein gesundes Selbstbewusstsein braucht es allemal, um einen Kinoklassiker wie «Blade Runner» (1982) fortzusetzen oder einen komplexen Roman wie Frank Herberts «Dune» auf die Leinwand zu bringen, der Kollege David Lynch bis heute verfolgt. Seine Adaption aus dem Jahr 1984 zeigt exemplarisch, wie schmerzhaft es sein kann, wenn ein Regisseur von seinen Geldgebern beschnitten wird und die Kontrolle über sein Werk verliert.

Lubna Azabal in Die Frau die singt - Incendies (2010) © IMDb

Villeneuves endgültige Eintrittskarte für die US-Filmindustrie ist «Die Frau, die singt» (2010). Ein Nahostkriegsdrama, das sich zu einer niederschmetternden Tragödie verdichtet und nicht von ungefähr für einen Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert wird. Emotional komplexe, moralisch ambivalente Erzählungen wie diese tauchen im Œuvre des Frankokanadiers häufig auf.

Ob «Enemy» (2013), seine erste ausschliesslich auf Englisch gedrehte Regiearbeit, ein symbolisch verrätselter, in eine kränklich gelbe Optik getauchter Doppelgänger-Albtraum, sein US-Debüt «Prisoners» (2013), ein atmosphärisch fotografierter Film um Selbstjustiz, oder der druckvolle Thriller «Sicario» (2015), der den Kampf zwischen mexikanischen Drogenkartellen und US-Behörden in düstere Farben taucht – Denis Villeneuve liebt die Grauzonen, führt die Zuschauer:innen an Grenzen und zwingt sie, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen. «Sicario» ist auch deshalb reizvoll, weil der Film die klassische Hollywood-Dramaturgie unterläuft. Anstatt immer aktiver zu werden, avanciert die Protagonistin Kate Macer (Emily Blunt), eine idealistische FBI-Agentin, im Angesicht der Barbarei auf beiden Seiten des Konfliktes zu einer erschütterten Beobachterin.

Emily Blunt in «Sicario» © IMPULS

Tosend und nachdenklich

Sein Faible für bedrohlich-dröhnende Klänge und überwältigende Bilder, das in «Sicario» unübersehbar ist, prädestiniert Villeneuve für das seit jeher mit Spektakel verbundene Science-Fiction-Kino. Eben diesem Genre verschreibt sich der Filmemacher in den letzten Jahren mit Haut und Haaren. Kritik an seinem manchmal ins Grössenwahnsinnige kippenden Stil hat durchaus ihre Berechtigung. Vor allem «Dune», die Verfilmung der ersten Hälfte von Herberts Romanvorlage, und «Dune: Part Two», das daran anschliessende Sequel, wirken in einigen Momenten fast schon grotesk megaloman. Nicht zuletzt wegen Hans Zimmers donnernd-bombastischem Score.

Gleichzeitig serviert uns Denis Villeneuve in seinen Scifi-Werken aber auch perfekt komponierte, wunderbar stimmungsvolle Bilder, die von enormem ästhetischen Gespür zeugen. Wie das Wüstensetting in «Dune: Part Two» inszeniert ist – einfach atemberaubend, erfreulich haptisch und kein bisschen künstlich. Dass sich der Frankokanadier genauso gut auf leise Töne und kontemplative Momente versteht, beweisen besonders «Arrival» (2016) und «Blade Runner 2049».

Amy Adams in «Arrival»

Ersterer entwickelt, auf Basis einer Kurzgeschichte Ted Chiangs, aus dem altbekannten Aliens-erreichen-die-Erde-Motiv eine aufwühlenden, sprachwissenschaftliche Konzepte behandelnde Erzählung um Kommunikationsprobleme, Respekt vor dem Anderen und das Verständnis von Zeit. Miteinander ins Gespräch zu kommen und zu bleiben – genau das, was in unserer so konfrontativen Gegenwart verloren zu gehen scheint, bekräftigt der Film auf kluge Weise. «Blade Runner 2049» wiederum fängt die beinahe meditative Atmosphäre von Ridley Scotts Vorgänger treffend ein und spinnt dessen philosophische Überlegungen zum Menschsein überzeugend fort.

Auch wenn «Dune» und «Dune: Part Two» nicht ganz die erzählerische Tiefe von «Arrival» und «Blade Runner 2049» erreichen, drückt sich in ihnen Villeneuves Interesse an komplexen Themen und existenziellen Fragen aus. Spannend ist in der Fortsetzung vor allem die mit Nachdruck hervortretende Sehnsucht nach einer starken Erlöserfigur. Beim Gedanken an die vielen falschen Propheten, die aktuell das politische und gesellschaftliche Klima vergiften, bekommt der Blockbuster eine geradezu gespenstische Note. Und das kann man längst nicht über jedes Hollywood-Epos sagen.

«Dune: Part Two» ist ab dem 29. Februar im Kino zu sehen.

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