Interview

Petra Volpe: «Da steckt auch viel Humor drin»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Durch die heilige Nacht mit einer jungen Prostituierten – Petra Volpe wagt sich mit ihrem Erstling auf den Zürcher Strassenstrich: die junge Schweizerin über Verletzlichkeit, Verdrängung und Freier.

Petra Volpe: «Da steckt auch viel Humor drin»

Hatten Sie im Sinne, die himmeltraurigste Weihnachtsgeschichte aller Zeiten zu erzählen?

(lacht) Nein. Zuerst waren einfach viele Fragen da. Und sehr viel Neugierde. Ich wusste, da ist diese Welt des Strassenstrichs, und die interessiert mich. Dann bin ich einfach eingetaucht – ohne eine klare Haltung dazu zu haben.

Haben Sie jetzt eine Haltung zu der Welt, von der Sie «als Frau ausgeschlossen sind», wie Sie einmal sagten?

Ich habe herausgefunden, dass es keine Welt am Rande unserer Gesellschaft ist. Die Freier sind keine Freaks, und auf dem Strich arbeiten keine Frauen, die nichts mit uns zu tun haben. Was ich gemerkt habe: Dass es diesen Markt in unserer Gesellschaft gibt, hat zutiefst auch mit unserer Gesellschaft zu tun. Mit der Art, wie Männer und Frauen miteinander umgehen. Mit ihrer Haltung zur Sexualität, zu ihrem Begehren, zu ihrer Beziehung. Die Parallelwelt des Rotlichtmilieus hält uns einen Spiegel vor.

Es gibt auch Frauen, die für Sex bezahlen. Hat Sie das Thema Prostitution aus diesem weiblichen Blickwinkel nicht interessiert?

Nicht für diesen Film. Es ist nach wie vor der statistisch wesentlich häufigere Fall, dass Frauen anbieten. Das Andere wäre ein anderer Film – der nächste vielleicht.

Darüber hat Ulrich Seidl eben einen Film gedreht.

Das ist ein anderer Vorgang, das sind andere Beziehungen, das ist ein anderes Machtgefälle. Und rein physisch ist es ein anderer Vorgang: Ein Callboy muss eine Erektion kriegen, wenn er zu einer Frau geht. Wenn das nicht passiert, dann passiert nicht viel. Umgekehrt ist das anders.

Auch ein Freier kann nicht können. Im Film kann André Jung nicht – «wegen des Stresses». Dass ein «Strichmännchen» keinen hoch kriegt: ein grosses Tabu in dieser Männerwelt?

Darum geht es doch genau: Wenn ein Mann mit einer Prostituierten nicht kann, ist es nicht so schlimm, wie wenn er eine abschleppt und nicht kann. Er kann immer sagen: Es ist deine Schuld. Zu einer Nutte zu gehen reduziert die Komplexität einer normalen Beziehung. Weil ich zahle, und du machst, was ich dir sage. Dahinter steckt ganz viel Schmerz, Angst und Verletzlichkeit. Das ist auch das ganz grosse Thema des Films.

Wie oft waren Sie selbst Ursina Lardi, die im Film im Wagen auf dem Strich vorfährt, weil sie weiss, dass ihr Mann sich hier herumtreibt, und sich dann in sehr gebrochenem Deutsch sagen lassen muss: «Wir machen nicht mit Frauen?»

So direkt nicht – aber ich war viel am Sihlquai, im Flora Dora Bus. Ich war aber auch im ständigen Austausch mit Polizisten. Ich habe mich mit einem Freier getroffen, ich war auf Sex-Foren unterwegs, um zu sehen, wie Männer über Frauen sprechen. Ich war in Bordellen. Das zu verdauen und transformieren hat vier Jahre gedauert. Mir war wichtig, nicht nur von aussen zu schauen und einen «ui, schlimm»-Film zu drehen, einen «ui, das arme Mädchen-Film».

Also kein Schweizer Remake von Lilja 4-ever.

Ein fantastischer Film! Aber ich wusste auch: Noch so einen Film – das schaffe ich nicht. In Traumland geht es um eine andere Brutalität. Es geht weniger um die Grausamkeit im Leben dieser jungen Prostituierten, sondern darum, wie die Leute mit ihr umgehen.

Der Anfang ist von einer harmlosen, banalen Alltäglichkeit, den Sie auf das schlimmstmögliche Ende zuführen. Langsam drehen Sie die Schraube an, am Ende bleibt der gefrorene Schmerz.

Für mich war die Dramaturgie immer eine Art langsamer Spirale. Ich hatte das Bild eines samtpfotigen, etwas harmlosen Tiers vor Augen. Und irgendwann beisst es einen in den Hals.

Praktische Frage: Wie dreht man auf dem Strassenstrich?

Wir haben Flyer verteilt. Die Frauen die man im Film sieht, sind alles Statistinnen. Die Frauen, die auf dem Strich arbeiten, hätten nie mitgemacht. Wir haben alle informiert, dass wir drehen. Was wir drehen. Am Drehtag war der Strich einfach ein paar hundert Meter weiter vorne. Aber es war heavy, vor allem für die Statistinnen. Sie wurden beschimpft, angemacht, das war ein sehr aufreibender Dreh. Auch nach der Vergewaltigungsszene war das Team völlig am Ende.

Eine ganz brutale Szene, kaum auszuhalten.

Auch für mich die schlimmste Szene, die ich ich je gedreht habe. Wir kamen alle an unsere Grenzen. Auch weil es eine so heftige Geschichte ist. Dazu kommt die Einsamkeit der Figuren, das Bedürftige. Dass alle so Scheisse sind zu dieser Frau, weil ihr Leben so Scheisse ist – das hat uns alle fertig gemacht.

Rolf, Martin, David oder Jonas – das sind alles sprachlose, feige und mehr oder weniger rücksichtslose Mannsbilder. Steht's so schlimm um den Mann?

Da steckt ja auch ganz viel Humor drin! (lacht) Ich glaube ohnehin, dass der Humor uns rettet. Aber wenn Menschen ihren Schmerz vermeiden, gehen sie kaputt. Ich habe eine grosse Zärtlichkeit und Empathie für alle Figuren. Die sind ja nicht einfach böse. Ich will ja nicht zeigen, wie böse alle sind. Sondern wie verletzlich sind sie. Viele Leute interpretieren auch das Schlussbild hoffnungsvoll. Die ist doch nicht tot. Die kann doch aufstehen! Traumland konfrontiert einen im Idealfall auch mit seinem eigenen Verdrängungsmechanismus.

12. Februar 2014

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