Artikel18. April 2024

Filmwissen: Alex Garland: Ästhetisches und existentielles Kino

Filmwissen: Alex Garland: Ästhetisches und existentielles Kino
© IMDb | 2015 - Universal Pictures International | Alex Garland und Alicia Vikander am Set von «Ex Machina»

Anders als im Falle Christopher Nolan («Oppenheimer») und Denis Villeneuve («Dune»), ist Alex Garland (noch) kein Name, den die breite Masse kennt. Beim Blick auf seine Werke hätte der britische Filmemacher jedoch mehr Aufmerksamkeit verdient. Zum Kinostart seines neuesten Films «Civil War» entschlüsseln wir seine stilsichere filmische Handschrift.

von Michael Gasch

Anfänge als Drehbuchautor

Als der britische Regisseur Danny Boyle 2003 mit dem Zombiethriller «28 Days Later» einen Hit landete, stand Drehbuchautor Alex Garland noch im Schatten des grossen Regisseurs. Fünf Jahre später folgte mit dem Science-Fiction-Film «Sunshine» die zweite Zusammenarbeit und allmählich zeichnete sich das Talent Garlands ab. Es sollte bis zum nächsten Werk «Alles, was wir geben mussten» nicht mehr lange dauern, bis sich seine filmische Handschrift herauskristallisiert.

Es gibt eine auffällige Schnittmenge zwischen all seinen Werken. Damals wie heute wird Garland von Themen wie existenziellen Ängsten, Bewusstsein, Individualität – schlichtweg menschlicher Komplexität – fasziniert, was sich auch in Interviews mit dem britischen Filmemacher bemerkbar macht. Dass Garland nicht nur Denker, sondern auch Macher ist, stellt er seit 2015 bis heute unter Beweis. Seit seinem Regiedebüt «Ex Machina» über Künstliche Intelligenz führt er seine psychologischen Ansätze weiter und integriert seither die zweite Eigenheit, die ihn ausmacht – eine Ästhetik, die ins Auge springt.

Cillian Murphy in «28 Days Later» © IMDb | 2002 Fox Searchlight

Intellektuelle Auseinandersetzungen

Seit diesem Jahr finden sich Garlands Ideen und Gedanken im Kontext psychologischer Ansätze nicht mehr nur zwischen den Zeilen, sondern in seiner zusätzlichen Position als Regisseur auch zwischen den Bildern. Atmosphärisch inszeniert und gern mit Ambient-Musik unterlegt, gibt es ein wiederholendes Motiv bei der Ausgangslage seiner Figuren. Das Thema des Aufbruchs ist oft immanent, das Ziel – nicht selten das Unbekannte – ebenso. Auf dem Weg dahin werden die Seelenwelten mit fundamentalen Herausforderungen konfrontiert und oft gelangt der Mensch an seine Grenzen.

Sperrig, überfordernd, künstlerisch anspruchsvoll, handelt es sich um Filme, die nicht für die breite Masse konzipiert sind. Hohe Ansprüche setzt Garland an sich selbst, ebenso an sein Publikum. Gerade dieser Aspekt erinnert an andere grosse Regisseure des durchdachten Kinos – allen voran Stanley Kubrick und Andrei Tarkowski. Während Garland mit «Ex Machina» an «2001 - Odyssee im Weltraum» anknüpft und den Diskurs über Künstliche Intelligenz weiterdenkt, zeigen sich ebenso Parallelen zwischen «Annihilation» und Tarkowskis Science-Fiction-Klassiker «Stalker». Der Umstand, dass Garlands Werk eine Romanverfilmung ist und nicht aus seiner eigenen Feder entstammt, spricht jedoch nicht gegen, sondern für ihn. Die existenzielle Geschichte, welche auf dem ersten Band einer Roman-Trilogie von Jeff VanderMeer basiert, fügt sich thematisch nahtlos in die Reihe seiner anderen intellektuellen Werke ein, denn auch hier werden hochkomplexe Themen verhandelt.

Oscar Isaac und Domhnall Gleeson in «Ex Machina» © Universal Pictures Switzerland

Angstvolles Kino

Das, was Garland 2003 mit «28 Days Later» anfängt, setzt er in all seinen folgenden Werken fort. Immer wieder geht es um tiefe Ängste des Individuums: Kontrollverlust und besonders der unsichtbare Schrecken, der sich ganz unterschiedlich manifestiert. “Einfache“ Ängste vor Zombies, die nach dem Leben zehren, weichen im späteren Kino Garlands hochkomplexen, den Anfang macht «Annihilation».

Das Unbekannte, das Unergründliche, aber auch die Auflösung von Menschlichkeit, zieht mentalen Horror nach sich und nicht selten stellt sich der Eindruck ein, dass Garland gern in die Tiefen des Kaninchenbaus hinabsteigt. Je weiter die Reise der Protagonist:innen in dieser mysteriösen Welt voranschreitet, desto unerträglicher wird der Horror, der gleichermassen paralysierend und faszinierend inszeniert wird. Der Nachfolgerfilm «Men», in dem zusätzlich bizarre Bilder hinzukommen, ist keine Ausnahme. Nicht selten fühlen sich beide Filme wie ein Fiebertraum an.

Natalie Portman in «Annihilation» © IMDb | Peter Mountain - 2018 Paramount Pictures

Eine Optik, die ins Auge springt

Ästhetik ist ein zentrales Thema, mit dem Garland sorgfältig umgeht. Seien es die sterilen Räume in «Ex Machina» oder auch seiner Miniserie «Devs», die Entrücktheit der Natur in «Annihilation» oder der Surrealismus in «Men», seine Filme weisen stets hochatmosphärische Bilder auf, die in den Bann ziehen. Auffällig ist dabei, dass ihm bisher keine gigantischen Budgets zur Verfügung standen, was ihn aber nicht davon abhält, mit verhältnismässig wenig Ressourcen maximale Wirkung zu erzielen. Abgerundet wird dies letzten Endes durch seinen Anspruch, das Publikum zu (über-)fordern. Wer es kurzweilig, unterhaltsam, schlichtweg komfortabel haben will, der ist bei seinen Filmen bis dato nicht gut aufgehoben.

Mit immer grösseren Stars und mehr Budget entwickelt sich das Werk Garlands fort, was in seiner neuesten Produktion «Civil War» einen Höhepunkt erreicht. Es scheint ein Anzeichen zu sein, dass er mittlerweile ernst genommen wird, auch wenn sein letzter Film «Men» das Publikum polarisierte. Dass er die Idee für den Psychothriller allerdings schon vor etlichen Jahren hatte, wird weitestgehend ignoriert. Nur bedingt konnte er das Publikum für sich gewinnen, doch möglicherweise kam der surreale Thriller einfach zur falschen Zeit heraus.

Jessie Buckley in «Men» © Elite Film

Eine neue Ära beginnt

Zur richtigen Zeit kommt nun «Civil War», der mit einem für seine Verhältnisse üppigen Budget in Höhe von schätzungsweise 75 Millionen Dollar ausgestattet wurde. Der logische Schluss: Langsam vertraut man ihm an, den nächsten Hit zu landen. Viel gab es über «Ex Machina» zu sagen und auch über «Civil War» wird es viel zu sagen geben, denn erneut legt Garland seinen Finger an den Puls der Zeit.

Im Actionkino angekommen, zeigt sich jetzt eine andere Seite Garlands. Menschliche Komplexität wird auf eine reduzierte Art und Weise verhandelt, denn für den typischen starken Fokus ist neben dem bombastischen Spektakel nicht viel Platz. Nur selten scheint seine Handschrift hin und wieder durch, indem er verängstigte Gesichter festhält, die schon von weitem ahnen, dass es um sie geschehen ist.

Szene aus «Civil War» © Elite Film

Mit der Kamera bewaffnet, zieht er in die Schlacht, als Beobachter dritter Ordnung nimmt er sein Ziel, die letzten Momente, bis eine neue politische und gesellschaftliche Ära beginnt, ins Visier. «Civil War» ist jedoch kein typischer Kriegsfilm, dafür stellt er zu viele weiterführende Fragen, welche sich ganz besonders an alle Amerikaner:innen richten. Zynisch fragt er unter anderem: Ist es wirklich eine so gute Idee, an der nächsten US-Präsidentschaftswahl teilzunehmen? Und auf welcher Seite wirst du stehen, wenn die Gesellschaft kollabiert?

Mit «Civil War» erfindet sich Alex Garland ein Stück weit neu. Dezente Ambient-Töne und entschleunigte Aufnahmen als Standardrepertoire werden im Laufe des Films mit dröhnender Akustik und wuchtigen Bildern ersetzt. So zeigt sich, dass er nicht nur das Dezente und Minimalistische, sondern auch das Maximalistische beherrscht, in dem trotzdem noch genug Platz für Substanz ist. Der Aufstieg in die Sphären von Nolan und Villeneuve scheint gelungen, sein Name sollte spätestens jetzt in aller Munde sein.

«Civil War» ist seit dem 18.04.2024 im Kino zu sehen.

Das könnte dich auch interessieren:

Ist dieser Artikel lesenswert?


Kommentare 0

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung