Interview

Ruth Hirschfeld: «Ach, die ganzen Missen!»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

In der Filmwelt haben noch immer meist die Männer das letzte Wort – aber beim Casting reden die Frauen mehr als ein Wörtchen mit: Ruth Hirschfeld über gutes Besetzen, schlechte Bezahlung und Melanie Winiger.

Ruth Hirschfeld: «Ach, die ganzen Missen!»

Sie arbeiten seit über 30 Jahren als Casterin. Ihr Job ist – wie kaum ein anderer in der Männerwelt des Films – vergleichsweise fest in weiblicher Hand, sogar in Hollywood. Gibt es dafür eine Erklärung?

Das ist eben ein Beruf, den man auch ausüben kann, wenn man ein Kind hat. Beim Casting spielt aber sicher auch die weibliche Intuition eine wichtige Rolle.

Juliet Taylor, die grosse amerikanische Casterin, hat gefrotzelt, das Besetzen sei deshalb zur Frauendomäne geworden, weil man damit lange lausig bis nichts verdient habe.

Das ist immer noch so! (lacht) Es gab eine Zeit, da war’s mal ein bisschen besser. Aber heute verdienen wir wieder relativ schlecht.

Es steckt doch auch im Schweizer Film mehr Geld als früher?

Früher habe ich nur schon drei Tage am Kopierer gestanden und für jeden Schauspieler dicke Bücher mit Fotos gemacht. Noch vor sieben Jahren haben wir tonnenweise DVDs verschickt. Oder wir haben sie den Regisseuren vorbeigebracht und wieder abgeholt. (lacht) Im Zeitalter des Internet geht natürlich alles viel schneller.

Gehört Ihr Berufsstand zu den Modernisierungsverlierern?

Ich sehe mich nicht als Opfer, nie. Heute kann ich bei Bedarf einem Regisseur ein Dossier schicken und er mir in einer halbe Stunde geantwortet haben. Das ist doch gut, eigentlich.

Zurück zur weiblichen Intuition: Haben Frauen denn das bessere Näschen dafür, wer es mit wem kann?

Ich muss mich in die Regie hineinversetzen können. Erst dann kann ich die Schauspieler vorschlagen. So fängt alles an. Man lädt die Leute ein, schaut sich Bänder an, man überlegt. Dann hat man vielleicht das Geld noch nicht beisammen, es verschiebt sich alles, und der eine Schauspieler kann nicht. Bis man den ganzen Cast beisammen hat, ist man immer auf Achse. Das ist zwei bis drei Monate vor Drehbeginn der Fall. Wenn es toll läuft.

Und wenn es gar nicht läuft?

Ich war mal verheiratet. Am Tag meiner Hochzeit, die am andern Ende der Welt stattfand, verunglückte ein Schauspieler. Ich musste an meiner Hochzeit eine Hauptrolle umbesetzen. Casten ist definitiv kein Job mit festen Bürozeiten.

Sie kommen aus einer Theaterfamilie, Mutter und Grossmutter waren Schauspielerinnen, Ihr Vater war der berühmte Dramaturg Kurt Hirschfeld. Sie haben aber erst mal Buchhändlerin gelernt, bevor Sie auf Umwegen zur Casterin wurden. War das Ihre Form der Rebellion?

Mit dem Theater wollte ich lange nichts zu tun haben.

Aber gegen Ihre Gene hatten Sie keine Chance?

Eines Tages stand der Filmproduzent Peter Reichenbach vor mir in der Buchhandlung und fragte mich, ob ich Lust auf eine Regieassistenz hätte. So bin ich hineingerutscht – erst in den Film, von da wieder ins Theater. Es war eine echte Rutschpartie. (lacht)

Auch eine späte Heimkehr?

Ja, aber mit grossen Bedenken. Wenn man die Tochter von Kurt Hirschfeld ist, schauen sie dir extrem auf die Finger. Und wenn man nicht doppelt so gut ist wie die andern, fliegt man gleich wieder raus.

Warum sind Sie drin geblieben?

Ich hatte früher für Xavier Koller das Casting besorgt, als man das wirklich nur netterweise gemacht hat. Als ich schwanger wurde und wusste, ich werde eine alleinerziehende Mutter sein, beschloss ich, mit dem Casten mein Geld zu verdienen.

Wie hat sich das Filmbusiness über die Jahre verändert?

Heute glauben alle, mitreden zu können. Und all diese Castingshows nützen uns auch nichts. Ich glaube immer noch, es braucht eine Ausbildung.

Ihre grösste Fehlbesetzung?

Ach, ich weiss nicht mehr.

Eine, die Sie nicht mitverantworten?

Ich schaue mir Filme nicht als Casterin an. Ich setze mich mit diesen Fragen gar nicht so auseinander. Ich gehe ganz naiv an die ganze Sache heran. Mein Gehirn soll frei sein.

Zum Beispiel Robert Pattinson in Cosmopolis: Was denken Sie, wenn die Kritik einen Film vor allem deshalb abschiesst, weil er angeblich völlig fehlbesetzt ist?

Es wird einen Grund gegeben haben, warum man ihn so besetzt hat.

Hoffentlich nicht nur einen wirtschaftlichen!

(lacht) Klar, gibt es Filme, bei denen man das denkt. Und es gibt selbstverständlich Schauspieler, denen ich nicht gerne zuschaue. Aber das ist ja mein privates Problem. Es ist immer eine Sympathiefrage.

Kennt auch die Casterin die Angst vor dem Overkill der immer gleichen Gesichter?

Das ist natürlich ein Thema. Beim Fernsehen stärker als im Kino.

Marcus Signer, Sonja Riesen, Bettina Stucky, ein Fabian Krüger: Man hat das Gefühl, es drängen sich gerade ein paar neue Gesichter ins Rampenlicht. Erlebt der Schweizer Film einen Umbruch?

Der findet eigentlich immer statt.

Ist das Phänomen Melanie Winiger ein Ärgernis für den Schweizer Film?

Ach, die ganzen Missen! Melanie ist sicher eine Ausnahme, weil sie eine Kraft hat und ein Mundwerk. (lacht) Ich kenne sie, ich mag sie. Aber es gibt auch Missen – um Gottes willen! Aber wenn eine Charisma hat? Jederzeit!

Charisma – bitte zeichnen!

Es gibt Menschen, die betreten einen Raum und sagen kein Wort. Aber du machst «oops».

Für Akte Grüninger haben Sie Sidney Dreifuss mit Anatole Taubman besetzt. So vorsichtig wie grundsätzlich gefragt: Wie politisch korrekt muss man heutzutage casten?

Man setzt Anatole eine Brille auf, und er sieht wirklich aus wie Sidney Dreifuss. (lacht) Es gibt einfach Dinge, die einem Film helfen. Und Anatole Taubman hat Akte Grüninger geholfen. Aber grundsätzlich: Ich kann nur versuchen, den richtigen Schauspieler für die richtige Rolle zu bekommen. Der Hintergrund interessiert mich dann eigentlich nicht.

Wie laut werden Sie, wenn Ihnen klar ist: Der ist es – der Regisseur sieht es aber ganz anders?

Dann muss ich kämpfen. Das ist genau der Punkt: Gutes Casting funktioniert nur, wenn man sich auf jemand anders einlassen kann.

3. März 2014

Weitere Interviews

Regisseur Christophe Van Rompaey über seine rebellische Jugend, Depressionen und die Generation Z

Der kleinste Stuntman der Welt, Kiran Shah: «Bei Star Wars muss ich einfach meinen Kopf ausschalten!»

«The Lost City of Z»-Entdecker im Interview: «Wir haben es oldschool gemacht»

Frédéric Mermoud über sein Schweizer Beziehungsdrama «Moka»