Chronique d'une liaison passagère Frankreich 2022 – 100min.

Filmkritik

Keine Erinnerung ist stark genug

Filmkritik: Kevin Pereira

Emmanuel Mourets neuester Spielfilm «Chronique d'une liaison passagère», der in Cannes im Rahmen der etwas unübersichtlichen Auswahl «Cannes première» gezeigt wurde, steht in der Tradition der Arbeit dieses Filmemachers, der seit «Küss mich bitte» (2007) immer wieder über Liebesbeziehungen reflektiert.

Das Leben von Simon, einem verheirateten Familienvater, ändert sich radikal, als er Charlotte kennenlernt, eine alleinerziehende Mutter, die von Beziehungen nicht mehr viel zu erwarten scheint. In einer ehebrecherischen Affäre, die auf einem Versprechen beruht – keine Verpflichtungen, nur Vergnügen, nichts als Spass –, kommen sich die Liebenden über ihre Erwartungen hinaus näher. Ein Rendezvous mit einer gewissen Louise ändert jedoch den Verlauf ihrer Geschichte...

«Chronique d'une liaison passagère» ist eine neue Variation der Beziehungen zwischen den Geschlechtern - das Hauptmotiv seines Filmschaffens - und dennoch keine Wiederholung. Die Behandlung dieses Themas scheint an Präzision und Klarheit zu gewinnen. Das herrlich einfache Drehbuch verbindet sich hier perfekt mit einer einfachen, schlichten Inszenierung, die den Darstellenden eine aufregende Spielwiese bietet. Während Sandrine Kiberlain wieder einmal beweist, dass sie aus der Masse heraussticht, findet Vincent Macaigne hier eine Rolle, die ihm sehr gut steht: Jedes Gespräch zwischen den beiden wird durch eine Kamera, die auf die (manchmal burleske!) Energie ihrer Körper achtet, hervorgehoben.

Trotz eines Drehbuchs, das ständig versucht, sich von seinem zweifachen Erbe zu lösen - sowohl von dem unvermeidlichen Erbe eines Éric Rohmer als auch von dem umfassenderen Erbe einer bestimmten Tradition des französischen Kinos, die sich auf Paris und seine Liebesdramen konzentriert -, verfällt Mourets Projekt dennoch in einige bedauerliche Plattitüden: Grosse philosophische Diskussionen über die Liebe oder die Natur, die Berufung auf eine typische Figur, die gebildete und unstrukturierte Literaturstudentin, und einige Aufnahmen am Wasser sind erwartet und daher entbehrlich.

Trotzdem kann man Mourets Arbeit nicht zu streng beurteilen, da «Chronique d'une liaison passagère» trotz dieser Vorbehalte die aussergewöhnliche Qualität eines Spielfilms, der für den Schwindel der Gefühle offen ist, keineswegs trübt. Allem voran: Die Angst und die überwältigende Sorge von Simon, dass er seine Treffen mit Charlotte immer unter dem Zeichen des letzten Mals sieht. Denn Simon ist eine Figur, die sich im Schwindel befindet, gefangen in der Zerrissenheit dessen, der weiss, dass seine Liebe zu Charlotte mit seinem Familienleben unvereinbar ist. Aber wenn man wie Simon von einem Schwindelgefühl befallen ist, wird es schwierig, das Leiden vom Verlangen zu unterscheiden: Denn Schwindel ist bekanntlich der Rausch, den man angesichts der eigenen Schwäche empfindet, er ist auch ein entsetzliches Verlangen zu fallen. Das ist genau der Grund, warum Simon sich mit dieser Situation trotz ihrer Unmoral so gut arrangiert: Das Leiden, das ihm seine Unbeständigkeit bereitet, gibt sich auch als Ursprung seiner Lust zu erkennen.

Simons ständige Angst, dass seine Affäre vergehen könnte, wirkt daher wie ein Spiegelbild der Leidenschaft, die Charlotte für die Erinnerung hegt. In gewisser Weise teilen die beiden Liebenden ein und dieselbe Gewissheit: Es besteht eine erschreckende Kluft zwischen der Realität im Moment des Erlebens und der seltsamen Unwirklichkeit des Erlebten, wenn es auf die Erinnerung reduziert wird. Das einzige Problem besteht also darin, wie man sich angesichts dieser Tatsache positioniert: Entweder man erträgt wie Simon die Tragödie der Liebe oder man verfällt wie Charlotte den Reizen der Traurigkeit. Eine der letzten Sequenzen des Films baut auf dieser Polarisierung auf: Eine Kamerafahrt nähert sich Charlottes melancholischem Gesicht, bevor eine ebenso geniale wie bewegende Montage einsetzt. So besteht ihre Funktion darin, die Erinnerung zu entfalten und uns in einem letzten Anflug von Nostalgie eine Liebe wieder aufleben zu lassen, die nie mehr sein wird.

Übersetzung aus dem Französischen durch Maria Engler

05.06.2023

4

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