CH.FILM

Wet Sand Georgia, Schweiz 2021 – 115min.

Filmkritik

Das Meer sah mich weinen

Filmkritik: Eleo Billet

In «Wet Sand», der mit dem Prix de Soleure ausgezeichnet wurde, setzt Elene Naveriani mit ihrem ersten Film «I am truly a drop of sun on earth» ihre begonnene Erforschung von marginalisierten oder tabuisierten menschlichen Beziehungen fort. Diesmal stellt Naveriani ihre Kamera in ein georgisches Dorf, um von dessen Mikrokosmos zu erzählen, in dem Hass gegen Liebe steht und Todesfälle der Enthüllung von Geheimnissen folgen.

Wie eine Blume schlägt «Wet Sand» Wurzeln, bevor sich seine Handlung und seine Charaktere mit einem konstanten Streben nach Realismus und Schönheit entfaltet können. Jede Aufnahme, von denen die meisten fixiert sind, bis sie ein Wesen finden, dem sie folgen können, stellt dank Agnesh Pakozdis Fotografie und einem klugen Female Gaze eine Augenweide dar. Mit einer einfachen Prämisse stellt der Film das Café Wet Sand vor, Amnon (Gia Agumava), der es betreibt, und Fleshka (Megi Kobaladze), die dort bedient. Vor allem sind sie die Protagonisten, die mit ihrem Wunsch nach einer Welt, in der sie sich ohne Zwang aufblühen können, die Seele des Films beleben. Denn in ihrer von Touristen leergefegten Küstengemeinde kann selbst der Selbstmord des zurückgezogensten Menschen die Mehrheit nicht erschüttern. Ein Leben mit den Wellen und dem Rauschen des Meers als stetiges Hintergrundgeräusch durchzuführen, ist keine Garantie zum glücklich sein. Das muss auch Moe (Bebe Sesitashvili) erfahren, als sie in ihr Heimatdorf zurückkehrt.

Die Ankunft dieser Frau, die als marginalisierte Queer angesehen wird, ermöglicht es der Erzählung, prägnanter zu werden. An diesem Ort behauptet sich Moe und stellt sich auf der Suche nach der Wahrheit über die Heuchelei der Behörden. Sie hielt ihren Grossvater seit Jahren für tot, jedoch hat sie nun die Möglichkeit, sein Andenken zu ehren und das zu verteidigen, wofür er stand: Ein schwuler Mann, der gezwungen war, seine Liebe in einem Land zu verbergen, in dem Homosexualität erst seit 20 Jahren legal ist.

Natürlich hätte sich Elene Naveriani mit der familiären Bindung zwischen Eliko und Moe begnügen und den Schwerpunkt auf die Fortsetzung des Kampfes eines Vorfahren legen können. Doch sie entschied sich nicht nur dafür, Fleshka und Amnon durch ihre gemeinsame Liebe und Unterdrückung zu verbinden, sondern auch ein glückliches lesbisches Paar darzustellen. Dadurch werden Themen wie die generationenübergreifende Solidarität im Angesicht des Todes in den Vordergrund gerückt, die zu einer Veränderung der Denkweise führt. Elene Naveriani ist der Ansicht, dass die Wiedervereinigung von einst geliebten Menschen über das Grab oder den Scheiterhaufen erfolgt, bevor sie in den Herzen der Lebenden keimt.

Übersetzung aus dem Französischen von Eleo Billet durch Alejandro Manjon

Kurze Kritik von Teresa Vena:

Die georgische Regisseurin, die ihre Filmausbildung unter anderem in Genf absolvierte, hat eine anrührende und politisch aufklärerische Mischung aus Gesellschaftsdrama und Liebesgeschichte geschaffen. Anhand von gleich zwei Generationen bespricht sie das Thema Homosexualität, die damit verbundenen Vorurteile und mögliche Ausgrenzung der Betroffenen, die hier im Film im ländlichen Georgien zu beobachten sind.

Über eine bestimmte Zeit und einen präzisen Ort hinweg plädiert das Drama mit seinen genau komponierten Bildern, eine etwas im Retrostil gehaltene Ästhetik, die sich beispielsweise in den dominierenden satten Farben und der Ausleuchtung zeigt, für mehr gegenseitiges Verständnis. Eine Straffung des Stoffes hätte dem Film mit der Dauer von knapp zwei Stunden zu einer dynamischeren Inszenierung verholfen und auch ein paar Ungeschicklichkeiten im Spiel der Laiendarsteller in den Nebenrollen weniger auffällig gemacht.

02.05.2022

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor einem Jahr

In der Musik gibts den "Kanon in Engführung": Die zweite Stimme folgt schnell der ersten.
Hier fast Kanon in Weitführung: Als schon das Filmende erwartbar ist, kommt der Zweiteinsatz.
Ein Film, der oft wegen der Besprechung wohl erst nur besucht wird:
Was wäre gewesen ohne Empfehlung, rsp. ohne, dass ein Teil des Plots schon verraten worden wär?
Wenn Moe erst beobachtet, entdeckt, wie nahe sich die zwei Männer standen, wär das fürs Publikum ohne Vorwissen berührender gewesen...Mehr anzeigen


kellerpm

vor einem Jahr

"Nach dem Tod von dem alten Eliko"? Der Dativ war schon immer der Todfeind von dem Genitiv...

Zuletzt geändert vor einem Jahr


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