CH.FILM

W. - Was von der Lüge bleibt Schweiz 2020 – 111min.

Filmkritik

Trugbilder der Vergangenheit

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

20 Jahre nachdem Binjamin Wilkomirskis Autobiografie um seine angeblich im KZ verbrachte Kindheit als Fiktion entlarvt wurde, rollt Rolando Colla den Fall auf. Sein Film ist auch eine Annäherung an einen um seine Identität betrogenen Menschen.

Kein Mensch kann sich an alles, was ihm widerfährt, exakt erinnern. Und doch erzählen wir – erzählt das Kino – immer wieder Geschichten, deren sich Menschen erinnern. Basierend auf wahren Begebenheiten, heisst es dann jeweils, dabei würde es korrekter „auf tatsächlichen Ereignissen“ heissen.

Auch der Musiker Binjamin aka Bruno Wilkomirski – er heisst offiziell Bruno Dössekker – erzählt in seinem Buch "Bruchstücke" aus der Vergangenheit. Aus seiner eigenen, nahm man bei Erscheinen des 1995 als Autobiografie angekündigten Buches an: einer im KZ verbrachten Kindheit, den nicht einfachen Jahren danach. Vor allem die Authentizität des Beschriebenen begeisterte Literaturkritiker ebenso wie Historiker und die breiten Massen: Derart präzise Schilderungen des Lageralltags hatte man bis dato nicht gekannt.

Wilkomirski reiste in der Folge als vermeintlich jüngster Holocaust-Überlebender rund um die Welt. Trat in Schulen, in Talkshows, an Erinnerungsveranstaltungen auf, gab Interviews. Bald allerdings kamen Zweifel an der Echtheit seiner Erinnerungen auf. 1998 äusserte sich Wilkomirski in einem Interview zum letzten Mal öffentlich, 2001 schliesslich wurde „Bruchstücke“ als Fiktion entlarvt.

Die Empörung war riesig, Wilkomirski zog sich zurück. Autor und Buch gerieten in Vergessenheit. Dem Filmemacher Rolando Colla aber – man verdankt ihm eine Reihe Gesellschaftspolitik kritischer Kurzfilme („Einspruch I-VI“), sowie diverse Dokumentar- und Spielfilme – liess der Fall keine Ruhe. Er nahm mit Wilkomirski Kontakt auf, gewann sein Vertrauen. In seinem Film nun forscht er ausgehend von in über Jahren geführten Gesprächen mit Wilkomirski, dessen Weggefährten und Bekannten der Entstehung und Wirkung von „Bruchstücke“ nach. Gleichzeitig beleuchtet er Wilrkomirkis Lebensweg. Seine Kindheit, die der 1941 unehelich Geborene bis zu seiner Adoption in Pflegefamilien und im Heim verbrachte. Seine Jugend, in welcher für den über seine Herkunft im Dunkeln Gelassenen, die Suche nach der eigenen Identität immer dringender wurde. Ein emotional starker, dokumentarisch reich belegter Film, der im cleveren Kunstgriff die fiktiven Erinnerungen seines Protagonisten in Illustrationen des Comiczeichners Thomas Ott verbildlicht und nebenbei die Frage aufwirft, wieso Menschen sich so gern täuschen lassen.

11.11.2020

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