Stoker Grossbritannien, USA 2013 – 99min.

Filmkritik

Eine schrecklich nette Familie

David Siems
Filmkritik: David Siems

Mit Oldboy schuf Chon-Wook Park einen der besten asiatischen Filme der letzten zehn Jahre. Jetzt begibt sich der koreanische Regisseur erstmals auf amerikanisches Terrain und liefert einen vorzüglichen und perfekt fotografierten Thriller ab. In den Hauptrollen fürchten sich Nicole Kidman und Mia Wasikowska vor Matthew Goode, der hier einen mörderischen Dressman-Psychopathen spielt.

Wer Oldboy zu schätzen weiss, erinnert sich bestimmt noch daran: Vor zehn Jahren sass man im Kino und war verblüfft, sprachlos und erschlagen ob so viel Schönheit vor mörderischer Kulisse. Der Rachefilm verband die Perfektion klassischer Musik mit der Eleganz optimal ausgeleuchteter Einstellungen. Eine Gewaltorgie, die trotz ihrer expliziten Bildsprache und satter Blutspritzer so sanft und zauberhaft wie eine Symphonie von Beethoven war. Vor amerikanischer Kleinstadtkulisse, mit formidablen Hauptdarstellern und viermal höherem Budget erlebt man nun erneut einen Regisseur in Topform, der sich vor seinem Vorbild verbeugt: Alfred Hitchcock.

Die Story: India Stoker (Mia Wasikowska) trauert um ihren Vater, der bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen ist. Aus dem Nichts taucht der ihr unbekannte Onkel Charles (Matthew Goode) auf, der sich um die labile Mutter Evelyn (Nicole Kidman) kümmern soll, die mit der Trauerarbeit sichtlich überfordert ist und das Geschehene mit zartem Porzellanpuppengesicht weglächelt. Doch der bestens gekleidete und smarte Onkel hütet ein dunkles Geheimnis, dass er hinter perfektem Teint und eleganter Kleidung verbirgt. Seiner verschlossenen Nichte widmet er dabei ganz besondere Aufmerksamkeit.

Auch hier gibt es wieder Momente von perfekter Symphonie: Zu klassischer Musik schleichen die Darsteller wie Geister durch ein verlassenes, aber perfekt ausgestattetes Haus, während Eindringlinge auf subtilste Weise aus dem Weg geräumt werden. Matthew Goode spielt seinen Schurken wie eine aktualisierte Variante von Patrick Bateman, dem geleckten Massenmörder aus American Psycho, während Nicole Kidmans Rolle vergleichsweise klein ausfällt. Doch von früheren Chan-Wook-Park-Filmen wie Lady Vengeance und Sympathy for Mr. Vengeance weiss man, dass der Filmemacher ein Faible für weibliche Heldinnen hat, weswegen Mia Wasikowska die spannendste Rollenentwicklung vollführen darf: Zu Beginn als introvertiertes, blasses Mädchen, verliert sie im Laufe der Handlung ihre Unschuld. Und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Auch wenn Stoker vergleichsweise unblutig ausfällt und manchmal etwas selbstverliebt mit seinen Schauwerten umgeht: So smart und elegant ist schon lange kein US-Thriller mehr inszeniert worden, der dem Genre auf diese Weise neues Leben einhaucht. Man darf gespannt sein auf das US-Remake von Oldboy, bei dem Spike Lee auf dem Regiestuhl sitzt.

09.05.2022

4

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Kommentare

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Janissli

vor 5 Jahren

Spannender Thriller, war anfangs etwas skeptisch über den Verlauf der Geschichte, bis er mich am Ende ziemlich überrascht hat. Top.


dulik

vor 6 Jahren

Ein spannender Thriller, der vor allem durch die starken Darsteller zu überzeugen weiss.
Insgesamt verkleidet sich die Handlung allerdings wesentlich mysteriöser, als sie es eigentlich ist. Die dadurch entstehende, düstere Erzählweise zieht sich über den ganzen Film konsequent durch und macht diesen dadurch gefühlt länger, als er es tatsächlich ist. Trotzdem empfehlenswert.
7/10Mehr anzeigen


holiday88

vor 8 Jahren

Verstörende und zugleich fesselnde Story, die durch düstere Bilder, melancholische Musik und hervorragende Darsteller zu überzeugen weiss.


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