CH.FILM

Nachtzug nach Lissabon Portugal, Schweiz 2013 – 110min.

Filmkritik

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Michael Lang
Filmkritik: Michael Lang

Der Roman des Schweizer Autors Pascal Mercier ist ein Welterfolg und dass er verfilmt werden würde, war zu erwarten. Der Däne Bille August hat die Suche eines Berner Professors nach neuen Lebensinhalten in Lissabon bieder inszeniert. Allerdings dürfen sich Stars wie Jeremy Irons, Martina Gedeck, Christopher Lee, Bruno Ganz oder Charlotte Rampling in Szene setzen. Was nichts daran ändert, dass das Werk intellektuelle und emotionale Tiefenschärfe vermissen lässt.

Der Gymnasialprofessor Gregorius bewahrt eines Morgens eine junge Frau vor dem Suizid und stösst auf das Büchlein eines portugiesischen Arztes, Philosophen und Widerstandskämpfers. Aufgewühlt reist der Akademiker spontan nach Lissabon: Er will die Vita dieses Mannes kennenlernen. Vor Ort ergeben sich Begegnungen und nach und nach entsteht eine Chronik um Freundschaft, Verrat und Liebe zu Zeiten der Diktatur von António de Oliveira Salazar, die 1974, vier Jahre nach seinem Tod, mit der legendären "Nelkenrevolution" endete. Davon aber wird nur fragmentarisch berichtet, was dem Stoff die über das persönliche Schicksal hinausweisende Brisanz nimmt. Dies ist fatal, weil die portugiesische Zeitgeschichte weniger im kollektiven Gedächtnis verankert ist als etwa der Faschismus in Deutschland, Italien und Spanien.

In dieser verhältnismässig aufwendigen deutsch-schweizerischen Ko-Produktion führt der Oscar-Gewinner Bille August (Pelle, der Eroberer) Regie, ein Spezialist für Literaturverfilmungen (Fräulein Smillas Gespür für Schnee). Er präsentiert einmal mehr solides, etwas altmodisches Kino, das kaum filmkünstlerische Akzente setzt. Allerdings kokettiert er mit einem Starmix aus britischen, deutschen und schweizerischen Künstlern. Sie parlieren alle Englisch, was bei den teils abenteuerlichen Akzentfärbungen etwas Irritierendes hat. Aber das gehört leider zu europäischen Koproduktionen, bei denen aus Finanzierungsgründen oft hinter und leider vor der Kamera Kompromisse geschlossen werden, welche die Qualität nicht befördern.

Kommt dazu, dass die Filmstory suboptimal erscheint. Jeremy Irons, der schon mit August Das Geisterhaus gedreht hat, gibt beispielsweise den Professor respektabel. Und tut einem fast leid: das Drehbuch gönnt ihm bloss die Rolle des Moderators, der Figuren einführen darf. Dass die Story aber nicht zu knapp von seiner Identitätssuche handelt, bleibt diffus. Nie wird plausibel, warum der melancholische Herr sein wohlsituiertes Leben im idyllischen Bern überhaupt verändern sollte.

Man hat wieder den Eindruck, dass auch diese Literaturverfilmung entstanden ist, weil man spekuliert, dass ein guter Teil der Millionen Leser angelockt wird. Für die Produzenten mag sich diese Hoffnung erfüllen. Einem Publikum mit höheren Erwartungen bleibt die Enttäuschung.

19.05.2023

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Kommentare

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Joerg

vor 5 Jahren

PS


Joerg

vor 5 Jahren

Dieser Film ist eine gelungene Umsetzung von Buch auf Film - das meint übrigens auch P Mercier :-).
Daß es einige Verkürzungen gibt - wie das Sprachproblem - ist für einen Film vertretbar;
Ich finde, der Film ist eine wunderbare Umsetzung eines außergewöhnlichen Buches mit einer exzellenten Besetzung in starken, ruhigen Bildern - und auch Ton/Begleitmusik sind passend und gelungen.
Da frage ich mich, welche Filme der Kritiker/Verfasser der obigen Zeilen gut findet :-)Mehr anzeigen


vinner

vor 10 Jahren

Das Buch ist besser, da der Film gewisse Handlungen stark verkürzt wiedergibt. Trotzdem ist es ein schöner Film.


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