Tango libre Belgien, Frankreich, Luxemburg 2012 – 98min.

Filmkritik

Am Anfang war der Tanz

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Tanzen befreit: Der Tango lässt einen Gefängniswärter aus den Bahnen seines festgefahrenen Lebens ausbrechen. Und auch seine Häftlinge erfahren durch den argentinischen Tanz so etwas wie Freiheit. Darüber hinaus erzählt Frédéric Fonteyne die Geschichte einer dysfunktionalen Familie.

Der alleinstehende Gefängniswärter Jean-Christophe (François Damiens), von allen nur JC genannt, trifft bei einem Tango-Kurs auf die attraktive Krankenschwester Alice (Anne Paulicevich). Der zurückhaltende Mann ist von der jungen Frau fasziniert und staunt nicht schlecht, als er sie kurz darauf im Gefängnis wiedertrifft, wo sie ihren Mann Fernand (Sergi López) und ihren Geliebten Dominic (Jan Hammenecker) besucht, mit denen sie eine offene Beziehung führt. JCs Interesse für Alice und seine Beobachtungen bleiben nicht lange unentdeckt.

Liebesbeziehungen und Begehren spielen im bislang überschaubaren Werk des Belgiers Frédéric Fonteyne eine prägnante Rolle. Auch in Tango libre, 2012 in Venedig mit dem Spezialpreis in der Sektion "Orizzonti" ausgezeichnet, geht es um das Verhältnis zwischen Mann und Frau, daneben aber auch um die Frage, was es heißt, eine Familie zu sein. Der Tango, das Spiel zwischen Nähe und Distanz, großer Leidenschaft und Melancholie, wird in Fonteynes viertem Spielfilm zum kraftvollen Leitmotiv, das die Handlung nicht nur in Gang setzt, sondern auch weiter vorantreibt. So lernt der unbeholfene JC Alice beim Tango-Kurs kennen und entwickelt dort ein ungeahntes Verlangen. Da Fernand auf JCs Begehren aufmerksam wird und die scheinbar intakte Beziehung zu seiner Frau in Gefahr sieht, will er im Gefängnis mit Hilfe eines argentinischen Häftlings ebenfalls tanzen lernen. Auf wunderbare Weise kontrastiert Fonteyne das hoffnungslose Dasein hinter Gittern mit der expressiven Ausdruckskraft des Tangos. Harte Männer werden plötzlich zu sensiblen Wesen, die im Tanzen zumindest ein wenig Trost finden.

Ebenso eindrücklich wie die Tanzszenen geraten die immer wieder eingestreuten familiären Zusammenkünfte in den Besucherräumen des Gefängnisses. Kunstvoll und rasant montiert der Regisseur zum Beispiel den Moment, in dem Fernand JCs begehrenden Blick erkennt und von Alice erfährt, was sie und den unscheinbaren Gefängniswärter verbindet. Von da an ist nichts mehr wie zuvor. Eifersucht, Verzweiflung und Gewalt bestimmen den weiteren Handlungsverlauf und machen auch vor Alices pubertierendem Sohn Antonio (Zacherie Chasseriaud) nicht Halt. Glaubwürdig und einfühlsam bereitet das Drehbuch die Zuspitzung der Verstrickungen vor, bleibt seiner eigenen Linie im letzten Akt jedoch nicht wirklich treu. Der anfangs fast ausschließlich passive JC entwickelt plötzlich einen Aktionismus, der in seiner Heftigkeit nicht immer nachvollziehbar ist und das Ende, wenngleich es einen schönen Schlusspunkt unter die Geschichte setzt, ein wenig konstruiert erscheinen lässt.

Sieht man von diesem Schönheitsfehler ab, präsentiert sich Tango libre als melancholisches und eindringliches Drama, das nicht zuletzt mit beeindruckenden Darstellerleistungen aufwarten kann. Insbesondere François Damiens und Anne Paulicevich, die auch das ursprüngliche Drehbuch verfasst hat, legen ihre Figuren derart nuanciert an, dass man sich ihnen nur schwer entziehen kann.

17.06.2013

4

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Kommentare

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tolumoz

vor 10 Jahren

Wer Freude an skurielen Fimen hat, ist hier bestens bedient. Der Film nimmt überraschende Wendungen und bleibt dadurch spannend. Es ist schön wie ruhig die Personen gezeichnet werden und die leisen Töne Platz haben.


Electroman

vor 10 Jahren

Authentische Schauspieler drücken diesem berührenden Film ihren Stempel auf und lassen Tango libre zu einem Genuss für Augen, Herz und Ohren werden. Zweifellos ein Film, den man sich mehr als einmal anschauen kann, auch wenn die Auflösung auf den ersten Blick etwas skurril wirken mag


88fabian88

vor 10 Jahren

tanzen macht mit diesem film echt spass;)


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