Just a Kiss Grossbritannien 2004 – 104min.

Filmkritik

Konstruiertes Plädoyer für religiöse Toleranz

Flavia Giorgetta
Filmkritik: Flavia Giorgetta

Es ist das Los bekannter Regisseure, an ihren grossen Filmen gemessen zu werden. Dem Vergleich mit seinen eindringlichen Filmen über Elend und (seltene) Hoffnung in der Unterschicht hält nun Ken Loachs neustes Werk nicht stand.

Nach "My Name Is Joe" und seinem letzten Film, "Sweet Sixteen", spielt nun zum dritten Mal ein Film von Ken Loach in Glasgow. Doch im Gegensatz zur Misere des arbeitslosen Joe und zum Abstieg des 16-jährigen Liam zum Drogendealer, kämpfen die Protagonisten Casim (Atta Yaqub) und Roisin (Eva Birthistle) nicht mit existenziellen Problemen.

Im Gegenteil: Für den Pakistaner Casim, einen DJ mit dem Traum eines eigenen Clubs, baut die Familie im Garten einen eigenen Hausteil (den er freilich mit seiner ihm versprochenen Cousine bewohnen soll), während die grösste Sorge Roisins der Transport ihres Flügels ist. Casim hilft der Musiklehrerin seiner kleinen Schwester Tahara (Shabana Bakhsh) dabei, und schnell entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Wären da bloss nicht die religiösen Barrikaden: Casim ist hin und her gerissen zwischen traditionellen islamischen Familienwerten (inklusive bevorstehender Hochzeit) und der selbstbewussten, aber auch verletzlichen Roisin. Derweil diese um ihre Stelle in der katholischen Schule bangen muss, als ihre (aussereheliche!) Beziehung zu einem Muslim an die Öffentlichkeit dringt.

Konstruiert? Konstruiert. Natürlich gibt es religiöse Untoleranz von allen Seiten, natürlich ist das östliche Streben nach (familien-)gemeinschaftlichem Wohl oft nicht mit dem westlichen nach individuellem Glück vereinbar. Nur: Wenn all dies zusammenprallt in einem Film, dann muss die Liebesgeschichte für die Zuschauer Dringlichkeit haben, damit wir die Versuchsanordnung vergessen können.

Schwächen des Drehbuchs werden oft durch überragende Darsteller gemindert. Doch für einmal hat der grosse Schauspieler-Entdecker Loach mit dem Model Atta Yaqub in der Rolle von Casim tüchtig danebengegriffen. Der schöne Yaqub wirkt oft schlicht verloren und introvertiert statt inmitten eines inneren Kampfes zwischen der Liebe zu einer Frau und der Loyalität zu seiner Familie.

"Just a Kiss" berührt bloss stellenweise, so mit dem fulminanten Start: Tahara hält einen Schulvortrag über sich selbst - als Muslimin, als Frau, als Fussballfan, als Pakistanerin - und gegen den Hass, der Muslimen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vermehrt entgegenbrandet. Sie tut dies selbstbewusst, laut und auch sexy. Prompt wird sie nach der Schule von ihren Mitschülern verfolgt. Doch Tahara schlägt zurück. Ihre Rede bringt ein Anliegen von "Just a Kiss" - das Aufzeigen der Veränderungen für Muslime in der westlichen Welt nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center - zwar nicht subtil, aber leidenschaftlich rüber. Sie unterstützt die Handlung und spiegelt Taharas aufmüpfigen Charakter.

Wenn aber Casim Roisin über die blutige Bildung Pakistans belehrt, setzen Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty auch das Filmpublikum in ein Schulzimmer. Es ist schwierig, in einem Spielfilm geschichtliche Ereignisse zu vermitteln, ohne didaktisch zu wirken oder zu langweilen. Hier wirkt die Lektion bloss aufgesetzt.

Natürlich kann sich auch, oder gerade, ein Ken Loach einen mittelmässigen Film erlauben. Die Geschichten kleiner Leute am Rande des finanziellen oder nervlichen Ruins erzählt er wie kein anderer: authentisch, mit Respekt und einer hohen politischen Dringlichkeit. In diesem Sinne sei das Wiedersehen empfohlen mit Filmen wie "Family Viewing", "Ladybird, Ladybird", "Riff-Raff" oder den beiden ersten Glasgower Filmen.

14.12.2012

3

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Kommentare

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8martin

vor 3 Monaten

Es werden alle Hindernisse aufgetürmt, alle Probleme aufgezeigt und ausdiskutiert, die einer multikulturellen Verbindung im Wege stehen. Casim, der Pakistani, verliebt sich in Roisin, eine katholische Musiklehrerin. Die Macht einer pakistanischen Familie und die Konsequenzen ihres Auseinanderbrechens für alle Beteiligten werden detailliert geschildert. Ihre getreuen Clan-Mitglieder wirken sogar bei einer soap-mäßigen Performance mit, die Liebenden auseinander zu bringen. Aber der Gipfel ist hier die Haltung der katholischen Kirche als Aufsichtsbehörde einer Konfessionsschule. Und als selbst der liberale Rektor Klein Beigeben muss, bleibt am Ende nur die Flucht in eine ironische Anti-Liebeserklärung der beiden. Altmeister Ken Loach hat einen sehr differenzierten, teilweise sogar lustigen Film über ein ernstes Thema gemacht. Sehenswert.Mehr anzeigen


sminja

vor 18 Jahren

Mir gefällt der Film, denn er zeigt das Aufeinandertreffen zweier Kulturen in ihrem normalen Alltag. Erinnert vom Konzept her ein wenig an Bend it like Beckham, wirkt jedoch erwachsener.


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