The Five Senses Kanada 1999 – 105min.

Filmkritik

Über die Sinne

Filmkritik: Gerhard Schaufelberger

Jeremy Podeswa richtet nach Eclipse (1994) erneut sein Augenmerk auf die emotionalen Defizite von urbanen Menschen. In Shortcut-Manier verschafft er uns Zutritt zu fünf verschiedenen Gefühlshaushalten, in denen jeweils einer der fünf Sinne beschädigt oder vernachlässigt ist.

Rachel (Nadia Litz) ist geplagt von Schuldgefühlen und verspürt einen Hang zum Voyeurismus, dem sie erst nachgeben kann, als sie ein Gleichgesinnter beim Beobachten beobachtet und anspricht. Dabei sollte sie auf das Töchterchen einer Klientin ihrer Mutter Ruth aufpassen, während jene sich massieren lässt. Der Drang zum Zuschauen lässt sie das Kind aus den Augen verlieren. Um das Verschwinden des Mädchens als zentrales Ereignis drehen sich im weiteren Verlauf des Films lose die Episoden der anderen Figuren.

Rachels Mutter, die Massage-Therapeutin Ruth (Gabrielle Rose), gibt ihren Patienten Entspannung und Wohlsein, empfindet aber ein Unbehagen bei der Berührung nackter Haut, seit ihr Mann gestorben ist. Die Mutter-Tochter-Beziehung ist distanziert und überschattet von gegenseitigem Unverständnis. Ruth fühlt sich auch mitverantwortlich für das Verschwinden der Tochter ihrer Klientin. Durch die zaghafte Freundschaft, die sich zwischen den beiden Müttern anbahnt, lernt sie, Rachel besser zu verstehen.

Der bisexuelle Robert (Daniel McIvor) putzt und unterhält die Häuser von gutbetuchten Leuten. Auf seiner Suche nach dem Duft der Liebe will er nochmals all seine Verflossenen beschnuppern, um sicher zu gehen, dass nicht etwa die grosse Liebe irrtümlich auf der Strecke blieb. Das magische Elixier bekommt er von einer Kundin, die Parfums entwickelt, in einem Fläschlein - eigens für ihn hergestellt - präsentiert.

Roberts Busenfreundin Rona (Mary-Louise Parker) entwirft die verrücktesten Torten für besondere Anlässe. Die fetten Kuchen sehn zwar fantastisch aus, doch ihr Kern ist ein schal schmeckendes Bisquit. Erst als ein (allzu klischiert gesetzter) Latin Lover (Marco Leonardi), zu Besuch kommt und die Geschmacksbecherchen der desillusionierten Bäckerin tagtäglich mit mediterranen Köstlichkeiten erfüllt und ihre sexuelle Energie bis aufs Äusserste fordert, beginnt sie, ihre eigenen Werke geschmacklich in Frage zu stellen.

Der Augenarzt Richard (Philippe Volter) muss erfahren, dass sein Gehörsinn schwindet. Nach einer Liste verfahrend führt er sich eine Vielzahl von Geräuschen nochmals zu Gehör, ruft anonym bei seiner entfremdeten Familie an, um die Stimme seiner Tochter auf Band aufzunehmen. Trost erfährt er schliesslich durch sein Callgirl. Zufällig Mutter eines gehörlosen Kindes, nimmt sie dem mutlosen Mann die Angst vor der Taubheit.

Viel Gewicht wurde in den Dialogen und Solosequenzen auf die Mimik gelegt, was vor allem bei der Figur Richards (Philippe Volter) voll zum Zuge kommt. Sein Gesichtsausdruck übertönt in manchen Dialogen den Text, als würde hier symbolisch die drohende Stille des Taubseins vorweggenommen. Die Missstimmung, die von der verstockten, von Schuldgefühlen und Selbsthass geplagten Teenagerin verbreitet wird, gibt Nadia Litz als Rachel so glaubhaft zum Besten, dass man davor erschaudern möchte.

Podeswas Betrachtung über die beschädigte Emotionalität ist im Text scharfsinnig genug, um nicht der Rührseligkeit zu verfallen. Die eher nüchterne Atmosphäre wird unterstrichen durch die durchweg kühle Farbgebung (Kamera: Greg Middleton). Sei es feenhaft (Callgirl), als Deus ex Machina (Parfum), als Sex-Gemeinplatz (Latin Lover) oder als naheliegende Begegnung (Voyeur): Die teils engelhaft unwahrscheinlich wirkenden Gegenparte versprechen nicht die sofortige Befreiung aus der Gefangenschaft in sich selbst. Doch sie stehen bildhaft als Aufforderung, dort die Suche nach der Wahrheit zu beginnen, wo man nicht glaubt, oder eben fürchtet, sie vorzufinden.

18.05.2021

3

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