Il buco Frankreich, Deutschland, Italien 2021 – 93min.

Filmkritik

Eine einzigartige Sinneserfahrung

Filmkritik: Fanny Agostino

In den 1960er-Jahren reist eine Gruppe von Höhlenforschern nach Kalabrien, um ein klaffendes Loch inmitten der Berge zu untersuchen. Michelangelo Frammartino rekonstruiert das Loch und setzt die Erforschung eines marginalen Kinos fort. Ein Film über ein ländliches Italien, in dem die Handlung die Wahrnehmung von Zeit und Geräuschen ersetzt. Eine sensorische Erfahrung, die man nicht verpassen sollte.

Wir kennen sie, diese Regisseure, die ihre Obsessionen im Laufe eines Films wieder und wieder durchkauen. Michelangelo Frammartino ist einer von ihnen. Seine gesamte Filmographie ist darauf ausgerichtet, die Geschichte und die Existenz des kalabrischen Hinterlandes wiederzugeben. In «Il dono» (2003) erzählte er vom Lebensende eines Schäfers, der mit ansehen musste, wie sich sein Heimatland unter dem Einfluss technologischer Hilfsmittel veränderte. In dem Dokumentarfilm «Alberi» (2013) tauchte er in Traditionen und Rituale ein, indem er echte Bewohner ein verlorenes Ritual nachspielen liess. «Il Buco» liest sich wie ein Hybridprodukt.

Von der Expedition, die wirklich stattgefunden hat, erfahren wir wenig. Die kontextuelle Dimension tritt in den Hintergrund und wird dem Auge des Zuschauers nur durch winzige Details deutlich. Am auffälligsten ist das Auftauchen der transalpinen Zeitschrift «Epoca» mit ihrem grellroten Titel. Auf dem Titelbild sind Stars, aber auch Präsident Kennedy zu erkennen. Die Präsenz der Aussenwelt wird in einem poetischen Akt präsentiert. Als die Höhlenforscher ihren Abstieg in die Höhle beginnen, beleuchten sie die unerforschten Tiefen, indem sie die Seiten der Zeitschrift verbrennen. Der soziale Lärm erlischt.

«Il Buco» glänzt vor allem durch eine Regie, die den Film zu einem einzigartigen Erlebnis macht. Der Zuschauer taucht dank der Tongestaltung in die kalabrischen Hochebenen ein. Das Rascheln der Blätter, der Widerhall der Schritte in der Schlucht und die Schreie der Menschen umhüllen die Stimmung, die sich wie Gemälde aufbauen. Die Figuren erscheinen auf der Leinwand wie kleine Wesen, die sich in einem lebendigen Gemälde fortbewegen. Die Kamera bleibt unbeweglich und überragend. Sie bleibt auf Distanz zu den Menschen, als ob nur ein diskreter Blick von aussen einen respektvollen und authentischen Blick nach sich ziehen könnte.

Frammartino ist ein Künstler, der mit Kontrasten spielt und die Umgebung in einem kreativen Akt einsetzt. Beispielsweise verwandelt sich das Innere der Gletscherspalte in eine Mondatmosphäre. Die Farben sind Braun- und Orangetöne, die ins Ockerfarbene gehen. Der Glanz der Wände entsteht durch die kleinen Glühbirnen, die an den Helmen der Höhlenforscher befestigt sind und erzeugt ein Spiel aus Licht und Schatten.

Die Abfolge der Panoramen lässt uns die Bemühungen der Menschen vergessen, die sich unaufhörlich auf die Tiefen der Erde einlassen. Dasselbe gilt für das Schicksal des Einsiedlers, der in der Ferne nach dem von Fremden verursachten Aufruhr Ausschau hält. Der Regisseur erreicht sicherlich das gewünschte Ziel: den Zuschauer dazu zu bringen, in seinen Eindrücken zu versinken. Der kontemplative Tauchgang ist gelungen.

Übersetzung aus dem Französischen von Fanny Agostino durch Alejandro Manjon

20.06.2022

4.5

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