Ahed's Knee Frankreich, Deutschland, Israel 2021 – 109min.

Filmkritik

Showdown in der israelischen Wüste

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Der israelische Filmemacher Nadav Lapid übt in seinem autobiografischen Drama unverhohlen Kritik an Israels Kulturpolitik und beweist damit unerschrocken seine Freiheit als Künstler.

Der israelische Filmemacher X (in der Originalversion Y) fliegt in die Grenzregion von Arava, um im Siedlerdorf Sapir einen Film vorzustellen. Bei seiner Ankunft unterbreitet ihm die Gastgeberin Yahalom allerdings, dass er im Voraus ein Formular auszufüllen hat, in dem er ankreuzen muss, über welche Themen er nach der Vorstellung diskutieren wird. Yahalom ist jung und himmelt X an. Sie leitet die regionale Bibliothek und ist stellvertretende Direktorin der Bibliotheksabteilung des Kulturministeriums. Die zur Auswahl stehenden Themen sind ausnahmslos israelfreundlich und unpolitisch. Falls X das Formular nicht unterzeichnet, bekommt er kein Honorar. Falls er im Gespräch andere Themen als die angegebenen aufgreift, landet er auf einer Liste.

Yahalom hat besagtes Formular allerdings nicht dabei. Da bis zur Filmvorstellung noch ein paar Stunden bleiben, bringt sie X in eine Wohnung in einem leeren Schulhaus und lässt ihn später von einem Fahrer abholen. Das Formular kommt erst wieder ins Spiel, als die beiden während der Filmvorführung am Abend einen Spaziergang durch die Wüste machen. Zwischenzeitlich schickt X einige Videonachrichten an seine krebskranke Mutter, die mit ihm zusammen die Drehbücher zu seinen Filmen verfasst. Er unterhält sich mit einer Schauspielerin, die sich für eine Rolle in seinem neuen Film über die Palästinenserin Ahed Tamimi bewirbt. Und er ruft eine befreundete Journalistin an, die ihm rät, Yahalom in einem heimlich aufgezeichneten Gespräch an den Punkt zu bringen, an dem sie zugibt, dass das Kulturministerium Zensur ausübt und die künstlerische Freiheit untergräbt.

X ist unschwer als Alter Ego von Regisseur Nadav Lapid auszumachen. Tatsächlich werden in «Ahed’s Knee» fiktionalisiert Ereignisse aufgegriffen, die Lapid persönlich beschäftigen, wie auch der Tod seiner Mutter, Era Lapid, die bis zu «Synonymes» all seine Filme schnitt. Der Fall der Palästinenserin Ahed Tamimi, die als 16-Jährige einen israelischen Soldaten ohrfeigte und ins Gefängnis kam, was ein hoher israelischer Politiker mit dem Tweet kommentierte, man solle Ahed mit einem Schuss ins Knie für immer unter Hausarrest stellen. Nicht zuletzt ein 2018 unternommener Besuch im Wüstendorf Sapir, bei dem Lapid solch ein Formular unterschrieb, sich allerdings unterstand, die Vertreterin des Kulturministeriums blosszustellen.

Lapid hat das Drehbuch zu «Ahed’s Knee» innerhalb von zwei Wochen geschrieben und in kürzester Zeit verfilmt. X wird körperlich intensiv gespielt von Avshalom Pollak, einem grossen Schauspieler und begnadeten Tänzer, Yahalom wird, sichtlich unerfahrener, aber in ihrer Naivität überzeugend gespielt von Nur Fibak in ihrer ersten Rolle. Inszeniert hat Lapid seinen Film ziemlich experimentell. Kameramann Shai Goldmann filmt oft aus Hüfthöhe, arbeitet mit Reisschwenks, senkt den Blick unverhofft auf den vertrockneten Wüstenboden und ins grelle Licht der Sonne. Eingeschoben in das gegenwärtige Geschehen finden sich Flashbacks an Xs Zeit im Wehrdienst: Gar eine bizarre Szene mit entfesselt tanzenden Soldaten. «Ahed’s Knee» ist ein filmischer Höllenritt durch die Wüste. Eine unverhohlen heftige Abrechnung mit Israels Kultur(-Politik) und ein mutiges Plädoyer für die künstlerische Freiheit.

12.04.2022

4

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

thomasmarkus

vor einem Jahr

Eine eigene Rolle spielt von Anfang an die Kamera.
Fast wie ein Bild, dass wir die Realität nicht einfangen können.
Und hier sind alle fast Gefangene der Realität.
Ein trauriger Speigel der isralischen Gesellschaft.
Und noch trauriger: So ein Spiegel ist wohl in keinem der Nachbarländer möglich.Mehr anzeigen


Mehr Filmkritiken

The Fall Guy

Back to Black

Kung Fu Panda 4

Challengers - Rivalen