Roubaix, une lumière Frankreich 2019 – 119min.

Filmkritik

Die menschliche Seite des Verbrechens

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Mit Roubaix, und lumière ist Arnaud Desplechin (Les fantômes d’Ismaël) ein schillerndes Crime-Movie geglückt.

Polizeichef Yakoub Daoud ist fast mehr als ein Hüter der Ordnung ein Sozialarbeiter: Seit dem Kollaps der Textilindustrie ist das einst blühende Roubaix eine von Frankreichs ärmsten Gemeinden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Hoffnungslosigkeit ebenso; nach „zu vielen zu romantischen Filmen“, erklärt André Desplechin im Director’s Statement, habe er einen Film drehen wollen, der in der Wirklichkeit fusst.

Diese Wirklichkeit ist ein Mord, 2002 begangen an einer 83-Jährigen, von Mosco Boucault im Dokumentarfilm Roubaix, commissariat central bereits aufgegriffen. Die Bilder, damals am TV gesehen, sagt Desplechin, hätten sich ihm in Erinnerung gebrannt. Und nun schickt er also seinen – fiktiven – Polizeichef los, um zu ermitteln. Vorerst in einer Kleinigkeit: einem von seinem Besitzer mutwillig abgefackelten Personenwagen.

Die Befragung ist zermürbend, die Nacht lang. Am nächsten Tag tritt mit dem Akademie-Abgänger Louis Cotterel ein Neuling in Daouds Dienst. Wo der in Roubaix aufgewachsene Immigrantensohn Daoud ans Gute im Menschen glaubt, seine Stadt in- und auswendig kennt und schuldig von unschuldig instinktiv zu unterscheiden vermag, glaubt Louis stur ans Gesetz und einer von Amtes wegen zu vertretende Gerechtigkeit.

Die Fälle beginnen sich zu häufen. Nebst einer verschwundenen Frau beschäftigt die Polizei eine Vergewaltigung, ein Haus brennt. Man findet in der Nachbarschaft zwei Zeuginnen, ihre Aussagen bringen wenig. Scheinbar nahtlos gleiten die Fälle ineinander über, lange Zeit treibt der Film, unterlegt von Jazz zusammen mit den Protagonisten durch die Tristesse der Stadt; irgendwie cool, zugleich elegant ist das und bei aller Beiläufigkeit geheimnisvoll.

Schliesslich aber beisst sich die Handlung fest am besagten Mord. Die zwei Zeuginnen, Marie und Claude, glaubwürdig verstört gespielt von Sara Forestier und Léa Seydoux, geraten ins Fadenkreuz der Ermittler. Es folgen Verhöre, allein, zu zweit, Gegenüberstellungen. Es wird geschrien, geheult. Man spielt good cop, bad cop: Es ist alles da, was zu einem Crime-Movie gehört, und doch ist Roubaix, une lumière anders. Nicht realistisch, wie angekündigt, sondern realistisch übersteigert. So wie True Detectiveund Hitchcocks The Wrong Man fesselnd in der Suche nach einer Wahrheit, die einzig durch die Blicke der Polizisten vermittelt wird – und Daoud, notabene, ist eine grosse und tolle Lonesome Zorro-Rolle für Roschdy Zem.

14.10.2019

4

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