CH.FILM

Nemesis Schweiz 2019 – 132min.

Filmkritik

Der Blick aus dem Fenster eröffnet die Welt

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Thomas Imbach beobachtet im Blick aus seinem Atelier, wie der alte Zürcher Güterbahnhof abgerissen wird und an seiner Stelle ein neues Justiz- und Polizeizentrum mit Gefängnis entsteht.

2011 hat Thomas Imbach „Day Is Done“ vorgestellt. Eine Langzeitstudie, die aus dem Fenster seines Ateliers geschossen und mit Aufnahmen seines Telefonbeantworters unterlegt Veränderungen in Imbachs Leben und Zürichs Stadtlandschaft nachzeichnet.

Imbach hat seine Kamera am Fenster stehen gelassen. Aus dem gleichen Blickwinkel aber unter anderer Prämisse ist ein weiterer Film entstanden: „Nemesis“, im Titel heiligen Zorn versprechend, de facto eine Spur unpersönlicher, aber politischer als der Vorgänger.

Grund von Imbachs Empörung und Anlass seines Filmes ist, dass der alte Güterbahnhof vor seinem Atelier in Zürich Aussersihl einem modernen Justiz- und Polizeizentrum weichen muss. Angekündigt hat sich die Veränderung seit 2001 in jahrelangem Hin und Her, eine nicht unwichtige Rolle spielt die Frage des Denkmalschutzes.

2013 ziehen, und damit setzt „Nemesis“ ein, die Abbruchmaschinen aufs Gelände. Begleitet von lautem Getöse und unter massiver Staubentwicklung werden die Hallen, in denen davor zeitweise Zürichs Subkultur blühte, in ihre Teile zerlegt. Das Gelände verwandelt sich zur Brache, wird zur Baugrube, schliesslich zur Baustelle, auf der das Polizeigefängnis allmählich Form annimmt.

Zwischen den einzelnen Phasen vergehen oft Monate. Imbach beobachtet und filmt. Den weiten Himmel, ziehende Wolken, Sonnenuntergänge. Gewitter, Regen, Schneestürme. Liebespaare, Passanten und spielende Kinder unter seinem Fenster. Zwei Jugendliche, die Fotos schiessen, eine Filmcrew. Fuchs und Rabe, die über Gelände ziehen. Einmal findet auf dem Areal ein Festival statt. Bei der Grundsteinlegung wird eine Zeitkapsel eingebuddelt, gegen Filmende feiern die Bauarbeiter Aufrichte.

Imbach stellte zusammen, montierte, raffte die Zeit. Einzelne Szenen, einmalige Ereignisse, einen Feuerwehreinsatz. Menschen und Maschinen. Einige Figuren tauchen wiederholt auf. Die Bauarbeiter, orange und gelb gekleidet, schwärmen durchs Bild. Die Tonspur gibt lautmalerisch wieder, was aus solcher Distanz unmöglich aufgezeichnet werden konnte. Begleitet wird das Geschehen von tagebuchartigen Gedanken des Regisseurs sowie Aussagen von Personen in Ausschaffungshaft.

„Nemesis“ überzeugt durch sorgfältige Beobachtung ebenso wie durch Bildwitz und eine clever-verspielte Montage. Ein kurzweiliger, zugleich nachwirkender Essay über Zeit, Vergänglichkeit und des Menschen Bedürfnis nach Sicherheit.

27.01.2021

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Bildgewaltig, manchmal fast wie ein Dokumentarfilm über fremdartige Wesen: Baumaschinen, insektengleich, wuseln über die Leinwand, grosse Gebäude wie Puppenhäuser, fast schon meditativ. Dazu eine Tonspur, wo ich mich frag, wie hat er die leisen Töne heranzoomen können? Nicht immer, das gäb einen halben Stern Abzug, wird der Sprecherwechsel von Anfang an klar, wann wechselt es vom Autor zu anderen Autobiographien, den eingespielten, 'angetönten' Flüchtlingsschicksalen. Fast zu intim waren mir manche Szenen - glaub nicht, dass die Leute sich da gefilmt wussten, da ein Paar auf dem Autoparkplatz fast schon intim wurde...Mehr anzeigen


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