Wintermärchen Deutschland 2018 – 125min.

Filmkritik

Alles nur ein stummer Schrei nach Liebe?

Locarno Film Festival
Filmkritik: Locarno Film Festival

Regisseur Jan Bonny zeigt in seinem Spielfilm Wintermärchen eine toxische Dreierbeziehung, die sich in rechtsradikaler Gewalt entlädt. Was das mit Ausländerhass zu tun haben könnte? Das scheint ihn nicht zu interessieren.

Filmkritik von Silvia Posavec

Becky und Tommi sind ein mehr als unglückliches Paar. Ob das daran liegt, dass sie sich im sogenannten «Untergrund» befinden, oder einfach an der kranken Grunddisposition ihrer Beziehung, bleibt erst mal offen. Wir folgen den beiden auf ihren konspirativen Streifzügen. Fast schon albern wirkt die Szene, in der sie nach heimlichen Schiessübungen im Wald nervös die Patronenhülsen zusammensuchen und abzählen. Sollen wir an Bonnie und Clyde denken, oder eher Beate (Zschäpe) und Uwe (Mundlos)?

Doch Regisseur Jan Bonny interessiert sich dann gar nicht so sehr für den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Sein Blick konzentriert sich auf die Beziehung seiner fiktiven Protagonisten. Über lange Strecken sehen wir, wie Becky (Ricarda Seifried) ihre Macht über ihren Freund demonstriert: Wiederholt erniedrigt sie ihn, greift Tommi (Thomas Schubert) nicht nur verbal an. Im nächsten Moment verführt sie ihn und entlockt ihm schmutzige Sexfantasien. Tommi, immer bemüht, auf seine Freundin einzugehen, verrät ihr verlegen, dass er sich schon vorgestellt hat, dabei zuzuschauen, wie Becky von einem anderen gefickt wird. Dies wird alsbald Realität, als Maik (Jean-Luc Bubert) ins Spiel kommt. Der gemeinsame Bekannte stürmt grosskotzig und aggressiv die Szenen. Er lässt keine Gelegenheit aus, seinen Schwanz rauszuholen, und findet bald den gleichen perfiden Spass daran, Tommi zu erniedrigen.

Tommi ist „keiner von den Bösen“, wie er im Film immer wieder beteuern wird. Er wollte studieren, hat sich aber nicht getraut. Genauso, wie er sich nicht traut, zuzugeben, dass er eigentlich auf Maik steht. Tommi ist Mitläufer. Seine Frustration kommt aus der sozialen Isolation im Leben zu dritt und aus der immensen psychischen Gewalt, der er andauernd ausgesetzt ist. Später bricht diese Frustration in rohe Gewalt gegen Ausländer aus. In einer der ersten Szenen ist Tommi noch nicht bereit, Menschen auf offener Strasse zu erschiessen. Er weicht Becky aus, beteuert: „Der ist Deutscher.“ – „Wo is’n der Deutscher?“ schreit Becky zurück, die ihn dazu bringen will, zu morden. Tommi radikalisiert sich, bis zur zutiefst verstörenden Szene, als er einem Opfer mit einem Feuerlöscher den Schädel einschlägt.

Doch wo und wie entstand sie nun, diese spezifisch rechte Gewalt? Bei Becky und Maik speist sich die Mordlust aus einem geteilten Geltungsbedürfnis. Sie wollen in die Medien, wollen berühmt und berüchtigt sein für ihre Massaker. So kommt es auch, dass Becky komplett ausrastet, als ihre herzlose und herablassende Mutter ihr die Fähigkeit abspricht, Attentate auf Ausländer verübt zu haben. Auch hier stellt der Film den Hass auf Ausländer wieder eher als Nebeneffekt hin, nicht als Ausgangspunkt der Taten.

«Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe», flüstert eine Männerstimme im Abspann den antifaschistischen Songtext der Ärzte. Der Satz wird rückwirkend zur These des Filmes und bestätigt, dass der Regisseur sich in erster Linie für das Porträt einer toxischen Dreiecksbeziehung interessiert – eine Beziehung, in der die sexuelle Erniedrigung des Anderen gleichgestellt ist mit dem Erringen der Macht innerhalb der Gruppe.

Es geht Bonny also nicht um die Darstellung einer Lebensrealität im Untergrund oder gar darum, wie rechte Gewalt entsteht. Ausländerhass ist kein Thema, er ist einfach da. Und wenn er auftaucht, dann ist es so, als habe der Regisseur vergessen, seinen Protagonisten die richtigen rechten Sätze in die Münder zu legen. Wintermärchen ist keine Milieustudie. Es gibt kaum symbolische Verweise, auch die Andeutung, dass es irgendwo ein grösseres Unterstützer-Netzwerk gibt, bleibt dahingestellt. Der Zuschauer soll diese Leerstellen im Film wohl mit seinem Allgemeinwissen und durch eine Art ideologischen Reflex füllen. Wenn es dem Regisseur aber darum ging, zu zeigen, wie leichtfertig heute auch in der Öffentlichkeit über rechte Gewalt gesprochen wird, wie sie bagatellisiert wird – dann muss er sich fragen, ob er mit seinem Film den richtigen Beitrag dazu leistet.

Der vorliegende Artikel entstand im Kontext der Locarno Critics Academy.

13.08.2018

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