Les chatouilles Frankreich 2018 – 103min.

Filmkritik

Flucht in den Tanz

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Im französischen Drama Les Chatouilles taucht eine Frau mit dem Körper und der Seele in ihre Karriere als Tänzerin ein, um ein schweres Kindheitstrauma zu bewältigen.

Die 8-jährige Odette (Cyrille Mairesse) ist ein fröhliches Mädchen, das gerne tanzt und zeichnet. Warum sollte sie einem Freund ihrer Eltern misstrauen, der ihr anbietet, sie zu kitzeln? Immer öfter wird der Bekannte Odette fortan in ihrem Zimmer besuchen. Jahre später: Odette (jetzt: Andréa Bescond) ist erwachsen und ihr längst ist klar, dass das damals Geschehene schlimmstes Unrecht war. Dennoch vertraut sie sich einzig ihrer Therapeutin an. Gelingt es ihr, das Trauma zu überwinden?

Hauptdarstellerin Andréa Bescond, die den Film auch inszenierte, feiert mit Les Chatouilles ihre Kinopremiere. Bisher stand sie vor allem auf Theaterbühnen. Ihren ersten Film, der auf einem Theaterstück gleichen Namens basiert, drehte sie in und um Paris. Les Chatouilles wurde im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes im Rahmen der Reihe «Un certain regard» gezeigt.

Es ist eine Kunst, einem Film, der ein schweres Thema wie sexuellen Missbrauch behandelt, eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit zu verleihen. Genau das gelingt dem Multitalent Andréa Bescond (sie ist auch ausgebildete Tänzerin), in dem sie ihren mit kraftvollen Tanzszenen ausgestatteten Film mit einem durchwegs sympathischen, nie zu aufdringlichen Humor anreichert. Dieser wirkt nie fehl am Platz und erweist sich letztlich als gelungenes, ausgleichendes Element zur Tragik, die in der Geschichte steckt.

Die Kraft ihrer Imagination und Fantasie erlaubt es Odette, sich immer wieder in bizarre Tagträume zu flüchten. Gerade in diesen, von Bescond in passenden Momenten eingestreuten und phantasievollen Traumsequenzen zeigt sich der erfrischende Humor des Films. Etwa wenn sich Odette (in ihrer Vorstellung) plötzlich auf der Bühne der Pariser Oper befindet und ihrem Gefühlschaos freien Lauf lässt – in Form urkomischer, ans Publikum gerichteter Beschimpfungen. Nur, um wenig später ihr grosses Idol, den 1993 verstorbenen russischen Tänzer Rudolf Nurejew, von den Rängen aus beim Tanzen zu beobachten.

Diese surreal anmutende, unmittelbare Verschränkung der Zeitebenen findet sich im Film sehr häufig und macht einen grossen Reiz aus. Vergangenheit und Gegenwart gehen oft fliessend ineinander über und lassen zum Beispiel die junge Odette mit der erwachsenen zusammentreffen. Darüber hinaus aber verschweigt der Film Odettes Trauma nicht, im Gegenteil. Die Szenen mit der jungen Odette und dem Bekannten, ebenso wie deren Gespräche, verweisen mehr als eindeutig auf den Missbrauch. Diese Deutlichkeit ist aber unbedingt notwendig, um dem Zuschauer das geschehene Unrecht unmittelbar vor Augen zu führen.

13.03.2019

4.5

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