Nobody wants the Night Bulgarien, Frankreich, Spanien 2015 – 118min.

Filmkritik

Langeweile ist kälter als der Tod

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Es ist ein sehr symbolischer Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale: Es geht um Aufbruch, den Drang, unbekannte Gefilde zu erkunden und Neues zu entdecken, es geht um Neugier, Pioniergeist und Abenteuerlust. All das will die Berlinale auch bieten. Und mit Blick auf zehn vollgepackte Festivaltage sind der Durchhaltewillen und die körperliche Grenzerfahrung durchaus auch von Bedeutung. Doch zugleich hofft man, dass der Film nicht stellvertretend für die kommenden Tage steht, denn sonst müsste man sich warm anziehen.

Die spanische Regisseurin Isabel Coixet erzählt in Nobody Wants the Night von Josephine Peary, der Ehefrau des berühmten Arktis-Forschers Robert Peary. Als dieser sich 1908 in Grönland aufmacht, um als Erster den Nordpol zu entdecken, beschließt sie kurze Zeit später, ihm zu folgen. Trotz aller Warnungen erfahrener Polarreisender vor dem einbrechenden Winter macht sie sich mit einer kleinen Gruppe auf den Weg. Mit letzter Kraft schaffen sie es bis zu Pearys Basislager. Die Gefolgschaft beschließt umzukehren, Josephine hingegen will in der Hütte überwintern. Einzig die junge Inuitfrau Alaka, die in einem Iglu lebt, bleibt mit ihr zurück. Die beiden Frauen scheinen gänzlich verschieden, doch je härter Kälte und Dunkelheit werden, desto enger müssen sie zusammenrücken.

Mit Mein Leben ohne mich hat Isabel Coixet 2003 ihren Durchbruch gefeiert. Die Tragikomödie über eine sterbenskranke Frau, die ihre Familie nach ihrem Tod versorgt wissen will, verzauberte damals mit tieftraurigem Humor und einer herzzerreißenden, melancholischen Zuversicht. Doch von der Balance zwischen den Emotionen und der intelligenten und packenden Erzählweise ist in ihrem neuen Film kaum noch etwas zu spüren.

In den eisigen Schneelandschaften Grönlands inszeniert Coixet das Schicksal zweier Frauen, die auf sich selbst gestellt sind. Doch die Figuren sind ein wesentliches Problem des Films: Josephine Peary erscheint nicht als starke Frau, die sich in einer Männerwelt behauptet, sondern ist eine uneinsichtige und egozentrische Frau, die einzig darauf erpicht ist, bei ihrem Mann zu sein – auch wenn sie damit ihr Leben, als auch das ihrer Gefolgsleute, leichtsinnig aufs Spiel setzt. Warum sie so vehement die Reise fortsetzen will, bleibt jedoch eher unklar. Selbst Juliette Binoche vermag dabei ihrer Figur keine wirkliche Tiefe zu verleihen, sondern flirtet diesmal vorsichtig mit den Grenzen des Boulevardtheaters.

Kontrastiert wird ihr Charakter durch die Inuitfrau Alaka, die mit ihrer Bauernschläue der "zivilisierten" Josephine die Augen öffnen muss. Aber wenn Alaka mit gebrochenem Englisch ständig in der dritten Person über sich redet, ist das ähnlich anstrengend wie einst Jodie Foster in Nell. Überhaupt sind die Dialoge seltsam hölzern und geprägt von plumpen Lebensweisheiten. Zu allem Überfluss versucht eine empfindsame Stimme aus dem Off permanent dem Zuschauer zu vermitteln, dass das Gesehene gerade höchst emotional sei.

Und das ist nicht das einzige Kitschige in diesem Film. Hier bricht ständig der Pathos über den Zuschauer herein so wie die Schneelawinen von den Eisbergen rollen. Immer wieder gibt es imposante Aufnahmen der frostigen Landschaft, die zwar schön, aber ebenso selbstverliebt sind – und natürlich nicht ohne pathetische Streicher auskommen. So ist Nobody Wants the Night nicht mehr als ein konventionelles, uninspirierendes Drama, das dem Zuschauer leider die kalte Schulter zeigt.

03.10.2019

2

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Kommentare

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andreaberlin

vor 9 Jahren

beeindruckende Landschaftsaufnahmen von der Arktis. Absurde Geschichte. Unterhaltend, aber teilweise arg kitschig und aufgesetzt.


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