Paradies: Liebe Österreich, Frankreich, Deutschland 2012 – 120min.

Filmkritik

Bezahlter Sex, aber keine Liebe

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

An den Stränden von Kenia sucht eine 50-jährige Wienerin (Margarethe Tiesel) die Liebe und findet doch nur das kalkulierte Geschäft mit den Sehnsüchten der Europäerinnen. Schonungslos deckt Ulrich Seidl in langen statischen Einstellungen Enttäuschungen und ein ambivalentes Netz von Ausbeutung auf.

Berühmt sind österreichische Filmemacher für den bösen Blick auf die Psyche ihrer Landsleute. Am unerbittlichsten und bissigsten ist dabei Ulrich Seidl, der vom Dokumentarfilm kommt und mit insistierendem, teilweise auch die Grenze zum Voyeurismus überschreitenden Blick unbarmherzig menschliche Gemeinheiten und Einsamkeit aufdeckt. Weil Seidls Projekt eines Films über die drei göttlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung immer umfangreichere Formen annahm, wurden daraus drei Filme, die nur ganz am Rande über die familiäre Beziehung der Protagonistinnen verknüpft sind.

Im Mittelpunkt des ersten Teils dieses Triptychons steht die 50-jährige Teresa, die hofft, dass sie auf einem Keniaurlaub die Liebe findet, die es in Europa für Frauen in ihrem Alter nicht mehr zu geben scheint. Nur kurz erlebt man sie im Alltag als Betreuerin von Behinderten. Ihre übergewichtige Tochter (Melanie Lenz), die in Paradies: Hoffnung die Hauptrolle spielt, bringt sie noch zu ihrer Schwester (Maria Hofstätter), deren Suche nach Glück in Paradies: Glaube im Mittelpunkt steht, und schon wechselt Paradies: Liebe mit einem harten Schnitt nach Afrika.

Am Rande streift Seidl das Urlaubsprogramm, zeigt kurz die infantilen Spiele der Animateure mit den durchwegs älteren Touristinnen im Sand oder am Pool, zeigt sie auf den Liegebetten oder als Besucherinnen einer Krokodilfütterung und deutet kurz eine Safari an. Im Mittelpunkt steht aber die Suche nach jungen afrikanischen Liebhabern, die die Touristinnen rassistisch nur als "Neger" bezeichnen, von deren Lover-Qualitäten eine Freundin Teresas aber schwärmt. Teresas Sehnsüchte werden sich allerdings nicht erfüllen, denn für die Strandboys gilt die Gleichung Sex gegen Geld, Gefühle und Nähe werden höchstens vorgetäuscht.

Seidls Stil zielt nicht ab auf Emotionalisierung des Zuschauers und Identifikation mit der von Margarethe Tiesel großartig gespielten Protagonistin. Er bleibt kühler Beobachter, verzichtet auf Filmmusik sowie Psychologisierung und hält den Zuschauer auch durch die langen statischen Kameraeinstellungen auf Distanz.

Im quasidokumentarischen Gestus fängt der 60-jährige Wiener Regisseur das Geschehen teilweise fast in Echtzeit ein. Quälend lang kann das werden, doch um in die Tiefe zu dringen und die Beziehungsmechanismen, Sehnsüchte und Enttäuschungen, aber auch das sich einem einfachen Schwarzweiss-Schema entziehende Netz der Ausbeutung bewusst zu machen, braucht Paradies: Liebe diese Zeit. - Ein schöner Film ist dies freilich nicht, aber einer, der in seiner formalen Konsequenz zu provozieren und zu irritieren versteht, sodass er sich im Kopf des Zuschauers festhakt.

15.04.2013

5

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Kommentare

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gefuehlsmensch

vor 10 Jahren

ganz gut gemacht.


brunhilde53

vor 10 Jahren

Ein ganz toller Film.


marianndl

vor 10 Jahren

es war noch nie so ruhig im Kino wie bei diesem Film. Am Schluss blieben die Zuschauer noch etwas sitzen und fingen miteinander zu diskutieren an.
Ein berührender Film mit wunserschöner Kulisse.


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