Ein Prophet Frankreich, Italien 2009 – 154min.

Filmkritik

Bis zur Kenntlichkeit verzerrt

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

Ein tumber Kleinganove wird eingelocht und verlässt den Knast sechs Jahre später als gemachter Mann. Was es dazu braucht und was dazwischen geschah, erzählt der französische Autorenfilmer Jacques Audiard in seinem in Cannes preisgekrönten Meisterwerk «Un Prophète».

Hermann Gremliza, der Herausgeber des Magazins «konkret», meinte kürzlich: «Wer hinaufwill, muss herunterkommen, wer was werden will, muss aufhören, wer zu sein.» Dieser Satz, von Gremliza auf eine bestimmte Sorte Journalisten gemünzt, bringt auf den Punkt, was Jacques Audiard den Kleinganoven Malik El Djebena (Tahar Rahim) im Gefängnis lernen lässt: Im (Knast-)System überleben bzw. reüssieren heisst, kein Arschloch-Verächter zu sein und sich selbst radikal zu verleugnen. Zweiteres lässt sich bei Malik mühelos realisieren. Als er seine Strafe antritt, ist bei ihm keine Spur von Persönlichkeit vorhanden, keine Nationalität, keine Religionszugehörigkeit. Er kann weder lesen noch schreiben. Und könnte er es, er wüsste nichts damit anzufangen.

Ersteres - die braune Zunge - wird er kriegen. Einmal im Gefängnis beginnt für Malik die Zeit des Erwachens, er lernt das System zu lesen und erfasst schnell, dass der Knast vom korsischen Mob kontrolliert wird. Strippenzieher ist der klassische Mafioso Luciani (Niels Arestrup): Er bietet Malik Schutz unter seinem Schirm. Weil es im Gefängnis nichts umsonst gibt, wird Malik zum Mörder. Später bringt er sich das Lesen und Schreiben bei. Nachdem er die Basics der Gefängniswirtschaft abgehakt hat, wendet sich Malik der höheren Ökonomie zu. Vom Fusssoldaten Lucianis wird er zum Player. Vorausschauend wechselt er die Seiten und schliesst sich einer einsitzenden Muslim-Gangstergemeinde an. Die aus dem Knast global agierenden Fundis spielt er sodann geschickt gegen die klassisch vernetzten Mafiosis aus. Das Powerplay macht sich bezahlt: Die Aktien der Korsen beginnen dramatisch an Wert zu verlieren.

In 150 hochspannenden Minuten schildert Audiard anhand des Gefängnissystems jenen Prozess, den man mit Karl Marx als "primäre Akkumulation" bezeichnen könnte. Der bärtige Theoretiker sah darin die mittels nackter Gewalt durchgeführte Anhäufung des für den Anschub des Geschäfts notwendigen Kapitals. Audiard hat für Marxens abstrakten Begriff mit dem Gefängnis eine poetische Entsprechung gefunden, in deren Spiegel zudem die offizielle Ökonomie bis zur Kenntlichkeit verzerrt wird.

Es wäre aber verkürzt, würde man Audiards Film auf die sozialkritische Komponente reduzieren. Moralismus liegt dem Franzosen fern, und wenn er sich seiner Hauptfigur nähert, dann illusionslos und ohne billige Wertung - was angesichts der Monstrosität, der das Individuum im Gefängnissystem ausgesetzt ist, auch eher lächerlich wäre. Dass wir diesen Malik trotzdem hautnah mitbekommen, hängt mit der grandiosen Leistung von Newcomer Tahar Rahim zusammen, von dem in Zukunft wohl noch so einiges zu erwarten ist.

17.02.2024

5

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Kommentare

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dulik

vor 6 Jahren

Die ersten 30 Minuten sind unglaublich stark. Leider dauert der Film dann aber noch weitere zwei Stunden. Die Handlung ist zwar sehr authentisch dargestellt und auch überzeugend gespielt, jedoch ist die Geschichte derart zäh und monoton erzählt, dass es schon fast eine Herausforderung ist, den ganzen Film in einem Stück zu sehen. Und wenn man schon von Anfang an erahnt, worauf der Film hinaus will, lässt dies die Dauer auch noch einmal länger wirken. Genre-Fans dürften aber dennoch auf ihre Kosten kommen, denn als Gangster-Drama kann "Ein Prophet" überzeugen. Für den Durchschnitts-Zuschauer ist er aber eher nichts und danach richtet sich auch diese Bewertung.
6.5/10Mehr anzeigen


Barbarum

vor 11 Jahren

Kann sich getrost mit anderen grossen Gangsterdramen messen.


dmantock

vor 13 Jahren

Deprimierend.


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