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El sistema Kanada, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Japan, Polen, Schweden, Schweiz, Venezuela 2008 – 102min.

Filmkritik

Musikerziehung als soziale Waffe

Filmkritik: Eduard Ulrich

Bereits 1975 begann in Venezuela ein weltweit einzigartiges Musikprojekt, in dem Kindern aus den ärmsten Familien Halt und Perspektive geboten wird. Inzwischen hat es sich zu einer erfolg- und einflussreichen Institution entwickelt. Paul Smaczny und Maria Stodtmeier schaffen das schier Unmögliche, diesem Selbstläuferthema ein Bein zu stellen.

Mit zwölf Kindern aus sogenannten Barrios von Caracas, die in anderen lateinamerikanischen Städten Favelas und im globalen Diskurs kurz und bündig Slums heißen, fing es 1975 an, 2009 waren es 300'000. Das ist eine beeindruckende Steigerung, die einen nur deshalb bedenklich stimmen könnte, weil das nur ein Bruchteil aller Kinder der Ärmsten Venezuelas ist. Wer es geschafft hat, in eine der Musikkindergärten oder -schulen von "El Sistema" aufgenommen zu werden, hat den Sprung von der untersten Sprosse der sozialen Leiter auf eine höhere so gut wie sicher.

Das heißt in den meisten Fällen aber nicht eine Stelle als BerufsmusikerIn, obwohl es Absolventen dieser Ausbildung vereinzelt bis in europäische Profiorchester geschafft haben und die systemeigene Spitzentruppe, das "Simon Bolivar Jugendorchester" schon 2007 in Luzern gastierte und auch diesen März wieder. Die Mehrheit profitiert von einer Aufzucht und Hege ohne Drogen, dafür mit Disziplin, Gruppendynamik und Übung sozialer Kompetenzen. Aber parteipolitisch wirkt die Organisation nicht. Das Projekt scheint rundum gelungen, gibt auch einigen Leuten Arbeit und Brot, die alles organisieren, und Expansionspläne in andere lateinamerikanische Länder werden auch schon ventiliert. Gibt's wirklich keine Schattenseiten?

Wenn man welche sucht, findet man sie zunächst beim Film selbst, der diese Erfolgsgeschichte unkritisch präsentiert. Kein Werk wird ausgespielt, was für diese Art Musik tödlich ist. Die Gründerväter kommen zwar zu Wort, aber porträtiert werden sie nicht, ihre teilweise größenwahnsinnigen Fantasien ("die ganze Welt mit Musik retten") weder relativiert noch kritisiert. Interessant wär es auch gewesen, die Finanzquellen sprudeln zu sehen. Einige Kinder und Jugendliche werden zwar vorgestellt, aber nur in ihren Familien und innerhalb der Organisation. Das sind Momentaufnahmen, interessant wär das Urteil Ehemaliger gewesen. Immerhin vermittelt der Film ein eindringliches Bild von der prekären Lage der Schützlinge und dem Einfallsreichtum der Systemträger.

17.02.2024

3

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