Die Besucherin Deutschland 2008 – 104min.

Filmkritik

Die Unberührbare

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

In einem atmosphärisch dichten Debütwerk zeichnet Filmemacherin Lola Randl ein nachhaltiges und abgründiges Bild zwischenmenschlicher Beziehungen, das Raum für eigene Reflexionen lässt und zu einer offeneren Streitkultur im Paargefüge animiert.

Dass im Leben von Agnes etwas nicht stimmt, zeigen gleich die ersten Filmminuten: Sie überfährt einen Mann, steigt ohne eine Regung von Panik oder Verstörung aus, fühlt seinen Puls und erklärt der Polizei später seelenruhig, der Mann müsse vom Balkon gesprungen sein, so plötzlich sei er aufgetaucht. Ebenso ungerührt feiert sie gleich darauf ihren Geburtstag. Dabei würde man gemeinhin Agnes' Leben als erfüllt charakterisieren: Sie arbeitet als erfolgreiche Wissenschaftlerin, der liebende Mann hat zuhause als Krimiautor genug Zeit, sich um Haushalt, pubertierende Tochter und ein warmes Abendessen zu kümmern, Freunde und Schwester sind selbstverständlicher Bestandteil des Alltags. Doch Agnes strahlt eine tiefe Unzufriedenheit aus und scheint gar nicht zu merken, wie ihre barsche Art das gesamte soziale Umfeld konsequent brüskiert. Die entscheidende Wendung erlebt Agnes' häusliche Tristesse Royal im netten Eigenheim samt Panoramafenster als sie von ihrer sprunghaften Schwester den Schlüssel einer fremden Wohnung erhält um dort Blumen zu gießen. Aus dieser eigentlich banalen Begegnung der ungleichen Schwestern, einem Schlüsselmoment im Wortsinn, entwickelt sich bei Regisseurin Lola Randl das Unerwartete, ein großes Abenteuer: Allein aufgrund chronischer Schlaflosigkeit betritt Agnes eines Nachts die fremde Wohnung und macht sich zwischen verdurstetem Wellensittich und vertrockneten Pflanzen auf die Spurensuche des abwesenden Paares und eignet sich die verwaiste Wohnung zunehmend an. Ihr Doppelleben erfährt seinen Höhepunkt, als sich eines Tags ein Fremder neben sie ins Bett legt und man ganz selbstverständlich miteinander schläft. Ähnlich wie in Patrice Chéreaus «Intimacy» entsteht eine auratische Beziehung zweier fremder Menschen, die sich ohne den üblichen Austausch von biographischen Fakten und Lebensstationen annähern. Doch dauerhaft können die beiden ihrer jeweiligen Vergangenheit nicht entfliehen.

Es ist Lola Randls großer Verdienst, dass sie den Figuren ihr Geheimnis lässt, sich auf die phänomenologische Beobachtung irritierender zwischenmenschlicher Unterströmungen und die feine Auslotung familiärer Strukturen beschränkt, fernab von platter Psychologisierung. Mit einem für ein Debüt ungewöhnlich sicheren Gespür für subtile Spannungen und die Atmosphäre der Entfremdung werden die auch aus Filmen der «Berliner Schule» bekannten Konflikte des solventen aber innerlich leeren Bildungsbürgertums bespiegelt. Ähnlich wie die weibliche Hauptfigur aus Ulrich Köhlers «Am Montag kommen die Fenster» durchlebt auch Lola Randls Agnes eine Ausfallbewegung aus ihrem stagnierenden Alltag, verlässt Mann und Kind und lässt sich ziellos treiben. Diese Thematik ist nicht jedermanns Sache und sicherlich ist «Die Besucherin» alles andere als ein «Feelgood-Movie», brillant gespielt und zielgerichtet inszeniert ist diese bedrückende Alltagsstudie aber allemal.

13.05.2009

4

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