Berlin Calling Deutschland 2008 – 100min.

Filmkritik

Ein DJ flog übers Kuckucksnest

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Schauspieler als Gelegenheits-DJs - das kennt man (Asia Argento etwa sorgt in Cannes jedes Jahr hinter den Plattentellern für wesentlich mehr Begeisterung als auf der Leinwand). Aber ein DJ als Schauspieler? Die Skepsis ist in jedem Fall verständlich, doch um es gleich vorwegzunehmen: Paul Kalbrenner, der übrigens lieber als Elektromusiker denn als DJ und Produzent bezeichnet werden möchte, macht sich in seiner ersten Kinoarbeit überraschend gut.

Regisseur Hannes Stöhr macht es ihm allerdings auch leicht, denn in "Berlin Calling" spielt Paul Kalkbrenner letztlich eine Version seiner selbst. Als gefeierter DJ Ickarus steht er ständig unter Strom, bereist mit Lebensgefährtin und Managerin Mathilde (Rita Lengyel) Parties rund um den Globus und arbeitet nebenbei fieberhaft an seinem neuen Album. Das Nachtleben ist seine Welt, in der es der Ostberliner Pfarrerssohn allerdings nur mit Hilfe von Speed, Extasy und allerlei anderen Rauschmitteln aushält. Eines Tages erwischt er eine schlechte Pille - und findet sich in der psychiatrischen Klinik wieder.

Die behandelnde Ärztin (Corinna Harfouch, zuverlässig wie immer) will ihn so schnell nicht wieder gehen lassen, und tatsächlich zeigt Ickarus, umringt von Zivildienstleistenden und geistig schwerstverwirrten Mitpatienten, bald Anzeichen von Besserung. Doch sowohl die Musik als auch die Drogen üben einen zu großen Reiz auf ihn aus. Bei unerlaubten Freigängen zieht es ihn sofort wieder zurück in sein altes Leben. Dort allerdings wartet man nicht unbedingt auf ihn: Mathilde geht beruflich wie privat auf Distanz, während die Chefin seines Plattenlabels (Megan Gay) die Veröffentlichung der CD erst einmal auf Eis gelegt hat.

Zweifellos, Paul Kalbrenner ist hier ganz in seinem Element, wenn Ickarus aus den Geräuschen der Berliner S-Bahn düstere Elektrobeats bastelt oder im Drogenrausch nackt bis auf die Sonnenbrille durch die Stadt wankt. Von Regisseur Stöhr ("One Day in Europe") kann man Ähnliches nicht unbedingt behaupten. Seltsam gedrosselt wirken seine Party- und Clubszenen, immer wieder erinnern seine Bilder (gleich zu Beginn wird der Fernsehturm am Alex - natürlich! - zur Diskokugel) an ein Berlin-Image, das zuletzt in den späten 90ern richtig cool war.

Größere Probleme bereiten "Berlin Calling" allerdings andere Faktoren. Die vorhersehbare Geschichte inklusive abschließender Läuterung strotzt nur so vor Klischees und Allgemeinplätzen, sowohl in der Darstellung des Nachtlebens wie auch der Psychiatrie ("Einer flog übers Kuckucksnest" lässt grüßen!). Darüber hinaus entpuppt sich Stöhrs Humorverständnis, das in dieser ansonsten ernsthaften Geschichte durchaus seinen Platz hat, wieder einmal als arg albern, weswegen Ickarus' Zimmergenosse natürlich sächseln muss und seine Behandlung nicht ohne infantile Bewegungstherapie auskommt.

Dass man all das überhaupt mit ansehen mag, liegt letztlich tatsächlich an Kalkbrenner. Und zwar nicht nur an seinem souveränen Schauspieldebüt, sondern vor allem auch an der grandiosen Musik, die er eigens für "Berlin Calling" komponiert hat.

08.08.2012

2

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Kommentare

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dulik

vor 4 Jahren

Den Titel hat der Film vom gleichnamigen Erfolgsalbum des elektronischen Live Acts Paul Kalkbrenner, der hier zugleich auch die Hauptrolle spielt. Die Handlung ist zwar fiktiv, Kalkbrenner schafft es aber mit seiner Figur "Ickarus" die Welt des exzessiven Partylebens und des Drogenkonsums glaubhaft aufzuzeigen. Schauspielerisch sollte man hier nicht zu viel erwarten, auch ist der Berliner Akzent manchmal etwas schwer zu verstehen. Weil die Handlung die eine oder andere Länge aufweist, erreicht "Berlin Calling" trotz des grandiosen Soundtracks leider nur Mittelmass-Niveau und ist daher nur für Fans des Genres oder Paul Kalkbrenner wirklich zu empfehlen.
6/10Mehr anzeigen


Janissli

vor 6 Jahren

Üble Geschichte die auch die bösen Auswirkungen von exzessivem Drogenkonsum ins Visier nimmt. Teilweise doch ziemlich langweilig.


nervie

vor 14 Jahren

"Seltsam gedrosselt wirken seine Party- und Clubszenen, immer wieder erinnern seine Bilder (gleich zu Beginn wird der Fernsehturm am Alex - natürlich! - zur Diskokugel) an ein Berlin-Image, das zuletzt in den späten 90ern richtig cool war. "
Ich bin ein Berliner den es in die Schweiz verschlagen hat.. und ich kann dem Schreiber dieser Kritik nur eins sagen:
Klar sieht man den Alex... egal woher du kommst und egal in welchen der 4 guten electroclubs (die anderen sind alles nur mainstream discos) du möchtest... du kommst übern Alex! 2 der Clubs sind sogar direkt am Alex (gewesen) und jedes szenenbild zeigt die nacht wie wir eine durchgefeierte nacht in berlin erleben... feiern in der u-bahn am alex, feiern in der unterführung, auf der Jannowitz-brücke luft schnappen und runterkommen

Die Parties sind nicht gedrosselt... so feiert man heute... man tanzt für sich alleine... die anderen sind einen egal..

ich find das der film in perfektion zeigt wie eine Partynacht in Berlin von statten geht.Mehr anzeigen


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