Jellyfish - Vom Meer getragen Frankreich, Israel 2007 – 78min.

Filmkritik

Sommerhauch, später

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

In Cannes gab's die Auszeichnung für den "besten Erstling", und Nanni Moretti soll sich Hals über Kopf in den Spielfilm des israelischen Paares Shira Geffen und Etgar Keret verguckt haben. Auch das hier wird eine Liebeserklärung.

Man könnte vieles aus "Les méduses" herausgreifen, und fast jede Szene, jeder Dialog erzählte etwas über den ganzen Film - aber verriete doch nicht alles. Die Episode zum Beispiel, in der die Kellnerin (Sarah Adler) sich mit einer Fotografin ein paar Minuten von deren Kindheit auf Super 8 anzuschauen wünscht: "Erwarte bloss keine Story oder eine Entwicklung", schickt die Fotografin voraus. "Ich mag keine Entwicklungen", erwidert die Kellnerin und spricht über sich, auch wenn sie sich zum Schluss bewegt haben wird, ein bisschen wenigstens - genau wie die anderen Figuren, und ein wenig Story hat "Les méduses" natürlich schon. Oder die Szene, in welcher der Bräutigam (Gera Sandler) seine Frau (Noa Knoller) fragt, ob sie sich an ihr erstes Date erinnere? Im Kino sei es gewesen, sie hätten sich ständig umgesetzt, weil ihr kein Platz passte. Ob sie noch wisse, wovon der Film damals gehandelt habe? Genau davon handelt im Grunde "Les méduses": von den Umständen des Lebens, die eher Umständlichkeiten sind, und trotzdem das scheinen, was bleibt. Vielleicht, weil sie das wahre Leben sind?

Kein Wunder verliebte sich der grosse Nanni Moretti in diesen wunderbaren Film, als er ihn am Festival in Cannes sah, wo "Les méduses" dieses Jahr als "bester Erstling" ausgezeichnet wurde; Moretti soll auf der Stelle angeboten haben, ihn in seiner Heimat zu verleihen. Wie der Italiener verstehen sich auch Shira Geffen und ihr Gatte Etgar Keret - beide sind sie Schreiber von Haus aus, Keret haftet sogar das zweifelhafte Etikett des "Kultautors" an - auf die kleinen Spiegelungen des Politischen im Privaten, auf das plötzliche Aufblitzen des Grotesken in den kleinen Dramen des Alltags, auf das Entdecken einer Poesie in der Prosa, die manchmal ein Lächeln erlöst. Wirklich lustig ist "Les Méduses" nicht; diesen Film durchzieht ein Grundton der Melancholie, eine beredte Verschwiegenheit, die sich aus der Verlorenheit seiner Figuren ergibt. Aber Geffen und Keret beweisen ein feines Gespür für die Skurrilität des Daseins, besitzen das Auge und die Unverfrorenheit, genau dann ein wenig länger hin- und nicht wegzuschauen, wenn die zwischenmenschlichen Reibungen zu Reibereien werden und - in den schwierigsten Momenten naturgemäss - in Komik umschlagen.

Und man müsste längst erwähnt haben, dass "Les méduses" in Tel Aviv spielt und also in Israel, wobei der Film das auf eine lakonische Weise wieder wie nicht tut, weil er sich gleichsam universalisiert, wenn die Fotografin in jener Super 8-Szene sagt: "Meine Eltern haben den Holocaust überlebt", um ohne Pause die rhetorische Frage nachzuschieben: "Sind nicht alle die zweite Generation von irgend etwas?" Genau: Sich stellen müssen diese Figuren - ihrer Kindheit, der Mutter, sich selbst - oder es versuchen zumindest, also die drei oder vier, die hier Hauptfiguren zu nennen wären, in diesem episodischen Kunstwerk, dessen Geschichten sich nur lose berühren und gleichwohl eng verzahnt sind durch die Art, wie diese Menschen zu leben versuchen, nein, sich treiben lassen, aber das tönt schon fast zu verkopft und analytischer, als "Les méduses" sich gibt. Wichtiger zu wissen ist noch, wie motivisch fein gearbeitet dieser Film ist und wie grossartig gefilmt - und was für Schönheiten diese Schauspielerinnen sind.

03.02.2009

4

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Kommentare

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raffi44

vor 16 Jahren

ich fand den Film genügend.


oranjevoetbal

vor 16 Jahren

der meist langsame film fordert aufmerksamkeit und offenheit (für eine story fast ohne story), gibt dem der bildsprache mächtigen zuschauer aber eine fülle an material zur verarbeitung und belohnt mit manch schlichter und ebenso schöner szene.
israel im 21. jh. ist die kulisse, es könnte fast überall nach dem 2. weltkrieg sein; nein, politisch oder historisch wird's hier nicht.
gezeigt werden wenige figuren, die scheinbar ziellos durchs leben und den film gleiten, bzw. sich treiben lassen, und dabei momente von ergreifender tiefe und dichte erleben, prallvoll mit metaphern, symbolen und gesten. man erkennt sich hier, im gegensatz zu vielen ähnlichen filmen, eigentlich nicht wieder. es ist kein spiegel, der uns da vorgehalten wird, eher ein kaputtes kaleidoskop, das nur fragmentarisch licht, schattierungen und farben durchlässt. mitten aus dem leben gegriffen sind weder die charaktere noch die teils etwas überzeichnete handlung. das ist gut so, verleiht es dem werk doch die nötige glaubwürdigkeit, wozu auch die unauffällig guten leistungen der schauspieler beitragen.
wer stringenz, cineastische kniffe oder weltbewegendes erwartet, wird enttäuscht. für viele andere präsentiert sich hier eine trouvaille der unspektakulären sorte.Mehr anzeigen


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