Lady Chatterley Belgien, Frankreich, Grossbritannien 2006 – 168min.

Filmkritik

Wenn Kultur Klischee wird

Serge Zehnder
Filmkritik: Serge Zehnder

Was einst revolutionär war, wird zum Standard und letztlich ein Klischee. Die jüngste Adaption von D. H. Lawrence's Roman "Lady Chatterley's Lover" ist ein Stück tragischer Ironie. Überzeugt der Streifen als ungemein getreue Literaturadaption, ist die Story bei aller Qualität dem Lauf der Zeit zum Opfer gefallen.

So wahr D. H. Lawrences Schilderungen des gesellschaftlichen, industriellen und zwischenmenschlichen Wandels sind, so sehr wurden sie seit der Publikation des Romans bis zur Unkenntlichkeit recycled.

Basierend auf der zweiten Version der Geschichte (Lawrence hat das Buch in drei verschiedenen Versionen geschrieben), beziehen Roman und Film ihre Stärke aus einer konkreten und unmissverständlichen Prosa, und evozieren ein Sittengemälde von freier Liebe, dem Konflikt zwischen Mensch und Maschine und dem stark verankerten britischen Klassendenken. Eine Vielzahl spannender Themen, welche Lawrence im Zuge des aristokratischen Kollapses von England nach dem ersten Weltkrieg aufgegriffen und literarisch verarbeitet hat. Die Qualität und Bedeutung des Werkes, das oftmals auf seine freizügigen sexuellen Aspekte reduziert wurde, ist unbestritten. Regisseur Pascale Ferran ist es gelungen, auf eine ruhige, kontemplative Weise Lawrences Prosa in sorgfältig ausgewählte Bilder umzusetzen. Doch der Plot, über die von ihrem behinderten Mann körperlich und emotional vernachlässigten Lady Chatterley (grandios verkörpert von Marina Hands), welche eine Affäre mit dem Bediensteten Parkin (Jean-Louis Coullo'ch) beginnt, ist bei aller Sympathie zum Projekt allzu überholt.

Was an sich nichts mit der Intention des Films oder der Vorlage zu tun hat. Doch Lawrences Buch inspirierte ein Heer von Nachahmern, und die Bilder der paradiesischen sexuellen Befreiung am Busen der Natur sind mittlerweile so sehr Teil des billigen Kitschromans von Barbara Cartland bis Rosamunde Pilcher, dass es selbst einem sozial-kritischen Original schwer fällt, den Sumpf der Kopisten zu durchbrechen und als eigenständiges Werk angesehen zu werden. Oder anders gesagt, ich konnte mir einige unfreiwillige Lacher nicht verkneifen. Was umso bedauerlicher ist, da der bedächtige Erzählfluss, das perfekte Dekor, die knisternde Erotik und das überzeugende Ensemble stets im Dienst der Geschichte stehen und der Film handwerklich die bisher erhaltenen Auszeichnungen absolut verdient hat.

Doch so sehr ein Oldtimer eine sinnliche Nostalgie erzeugt, eine alte Karre ist er eben auch.

10.11.2020

3

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Kommentare

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8martin

vor einem Jahr

Die beste, weil werkgetreueste Lawrence-Verfilmung, die es bisher gibt - zu Recht mehrfach césarprämiert. Mit großer optischer und sinnlicher Intensität und viel Einfühlungsvermögen werden die drei Grundintentionen der literarischen Vorlage sehr gut in Szene gesetzt: die sexuelle Befreiung der Frau in den zwanziger Jahren, dann die Überwindung der gesellschaftlichen Standesunterschiede und die generelle Stellung von Mann und Frau zueinander. Regisseurin Pascale Ferran gibt ihrer französischen Fassung den Titel Lady Chatterley und der Mann aus den Wäldern. Das ist der Grundkonflikt.
Man sollte aber auch die lawrencesche Betonung des gesunden Lebens in der Natur nicht übersehen. Dazu gehört halt auch eine natürliche Sexualität. Die Atmo spiegelt die des Romans sehr genau wieder, das Ambiente passt und die Sexszenen werden - im Gegensatz zu mach anderem Machwerk - mit wunderbarer Leichtigkeit dargestellt. Das liegt zum Teil auch an den beiden weitgehend unbekannten Protagonisten Marina Hands und Jean-Louis Coulloc’h. Der Zuschauer wird nie zum Voyeur, eher genussreich ins Geschehen mit hineingezogen und nach dem abschließenden, längeren Dialog zum Weiterdenken angeregt.Mehr anzeigen


Gelöschter Nutzer

vor 14 Jahren

Die beste weil werkgetreueste Lawrence-Verfilmung, die es bisher gibt - zu Recht mehrfach césarprämiert. Mit großer optischer und sinnlicher Intensität und viel Einfühlungsvermögen werden die drei Grundintentionen der literarischen Vorlage sehr gut in Szene gesetzt: die sexuelle Befreiung der Frau in den zwanziger Jahren, dann die Überwindung der gesellschaftlichen Standesunterschiede und die generelle Stellung von Mann und Frau zueinander. Regisseurin Pascale Ferran gibt ihrer französischen Fassung den Titel Lady Chatterley und der Mann aus den Wäldern. Das ist der Grundkonflikt.
Man sollte aber auch die lawrencesche Betonung des gesunden Lebens in der Natur nicht übersehen. Dazu gehört halt auch eine natürliche Sexualität. Die Atmo spiegelt die des Romans sehr genau wieder, das Ambiente passt und die Sexszenen werden - im Gegensatz zu mach anderem Machwerk - mit wunderbarer Leichtigkeit dargestellt. Das liegt zum Teil auch an den beiden weitgehend unbekannten Protagonisten Marina Hands und Jean-Louis Coulloc’h. Der Zuschauer wird nie zum Voyeur, eher genussreich ins Geschehen mit hineingezogen und nach dem abschließenden, längeren Dialog zum Weiterdenken angeregt.Mehr anzeigen


irishelmuth

vor 16 Jahren

Der Film ist sehr gut und sehr subtil. Die Hauptdarsteller sind so überzeugend, so gefühlvoll. Landschaft, Fotografie, Erotik, Ton, Stimmen, Musik, Kamera – einfach perfekt. Es ist möglich: -)


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