Season of the Horse China 2005 – 105min.

Filmkritik

Dschingis Khans Erben

Filmkritik: Cindy Hertach

Frei von jeder dekorativ-folkloristischen Idealisierung indigenen Brauchtums, legt der Regisseur Cai Ning ein überzeugendes Filmdebut vor, das den Niedergang der mongolischen Nomadenkultur beschreibt und zugleich auch von ihr Abschied nimmt.

Steppe, Himmel und Wind vereinen sich im Inneren der Mongolei zu einem archaisch-mystischen Lebensraum, welcher dem stolzen Nomaden Urgen (Cai Ning) und seiner Familie Heimat und Existenzgrundlage zugleich ist. Aber sowohl die anhaltende Dürre als auch die Viehwirtschaft der Nomadenstämme tragen dazu bei, dass das ehemals fruchtbare Land Opfer zunehmender Desertifikation wird. Um die verbliebene Vegetation zu schützen, sperrt die chinesische Regierung grossflächig Weideland ab und verunmöglicht dadurch den Wanderhirten den Fortbestand ihrer Schafherden.

Die Jurte abzubrechen und in die Stadt zu ziehen, erscheint Urgens Frau Yingjidma (Narenhua) die einzig verbleibende Möglichkeit, das Überleben der Familie zu sichern. Doch ihr Mann will weder sein geliebtes, altes Pferd verkaufen, noch auf ein traditionell geführtes Leben als Steppenbewohner verzichten. Anstatt sich den neuen Umständen anzupassen, sucht er wutentbrannt und verzweifelt die Konfrontation mit den Behörden, den Nachbarn und letzten Endes auch mit seiner Frau.

Wo immer die moderne Zivilisation in indigene Gesellschafsstrukturen einbricht, lassen die sozialen Folgeerscheinungen erfahrungsgemäss nicht lange auf sich warten: Landflucht, kulturelle Entwurzelung und Alkoholismus zerstören traditionelle Lebensweisen und zwingen den Menschen einen oftmals verheerenden Prozess der Neuorientierung auf, der nicht selten mit dem Verlust ihrer kulturellen Identität einhergeht. Dem Regisseur Cai Ning gelingt es, jene gesellschaftliche Entwicklung in einer äusserst unprätentiösen und schlichten Filmsprache nachzuzeichnen. Dank der unmittelbaren und sachlich gehaltenen Ästhetik läuft "Season of the Horse" deshalb nie Gefahr, zu einem Ethno-Melodram zu werden, sondern bleibt bis zum Schluss die konsequente Bestandesaufnahme eines Nomadenschicksals.

Die Tatsache, dass Ning das Drehbuch des Films persönlich verfasst hat und gleich selbst in die Rolle des eigensinnigen Protagonisten geschlüpft ist, hat ihren simplen biographischen Grund. Geboren und aufgewachsen in der mongolischen Steppe als Sohn eines sesshaften Viehhirten, absolvierte er als Jugendlicher in Shanghai eine Schauspielerausbildung und studierte danach in Peking Regie. Trotz dieses kontrastierenden Werdegangs verlor Ning niemals seine enge Verbundenheit mit der Nomadenkultur, deren missliche Lage er nicht nur durch sein eigenes Filmschaffen, sondern auch mit Hilfe seiner Produktionsfirma Genghis Kahn Films und als Leiter der innermongolischen Filmstudios in Hohhot ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken möchte.

21.01.2021

4.5

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