Populärmusik Fran Vittula Finnland, Schweden 2004 – 99min.

Filmkritik

Rock 'n' Roll am Ende der Welt

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Reza Bagher ist es gelungen, Mikael Niemis gleichnamigem Bestseller gerecht zu werden: Rau, frech und zugleich voller Melancholie und Witz - ein skandinavischer Film, wie man ihn liebt.

Das Leben in einem kleinen Kaff mit engstirnigen Bewohnern hat schon einige skandinavische Regisseure zu ihren Filmen inspiriert, etwa "As it is in Heaven", "Fucking Åmål" oder "Noi Albinoi". Auch "Populärmusik från Vittula" spielt in einem kleinen Nest, und zwar ganz nördlich in Schweden. Hier herrschen noch fast archaische Zustände, und wer nicht als "knapsu" - was so viel heisst wie weibisch - gelten will, lernt einen anständigen Handwerkerberuf, beteiligt sich an der Elchjagd, demonstriert seine Muskelkraft und säuft sich unter den Tisch.

In der Rahmenhandlung blendet der erwachsene Matti zurück in seine Jugend in den 60er-Jahren: Sein bester Freund ist der wortkarge Niila, der den Grundstein ihrer Freundschaft legt, als er Mattis Naseninhalt verspeist. Niila träumt seit jeher vom Ausbruch aus dieser Enge und seinem Heim, das vom prügelnden, strenggläubigen Vater beherrscht wird. Im Rock 'n' Roll finden die beiden Freunde eine faszinierende Welt: Beim Hören ihrer ersten Platte beginnt sich das Zimmer zu drehen, die Musik reisst sie mit wie der nahe Fluss die Eisschollen, wenn der Frühling sich ankündigt. Diese Begeisterung verbindet sie bis ins Jugendalter, wo sie von ihrem leicht verrückten Hippie-Musiklehrer unterstützt, eine Band gründen. Doch derartige Musik findet man in Vittula "knapsu", und so macht Niila eines Tages seinen Traum wahr und haut ab. Für immer.

Der melancholische Unterton wird überlagert durch eine Komik, die sich die Bodenständigkeit und Langeweile dieses Orts zunutze macht, etwa bei Mattis erstem Sex in einer Turngarderobe, während beleibte Frauen im Saal auf- und niederhüpfen. Und doch bleibt einem hin und wieder das Lachen im Hals stecken, so wenn Niila nach dem übermütigen Playbackauftritt mit Gitarrenattrappen von seinem Vater verprügelt wird und seine verhärmte Mutter nichts dagegen unternimmt - ein Ritual, das jedes Mal erfolgt, wenn Niila es wagt, vom Gewohnten abzuweichen. Neben den bornierten bevölkern auch einige skurrile Figuren den Film, so der Eigenbrödler Ryssi-Jussi, der lieber eine Frau wäre oder Niilas Grossmutter, die ihren Enkel noch als Tote bedroht. Sie sind es auch, die dem Film zeitweise eine leicht surreale Note verleihen.

Es ist eine schwierige Aufgabe, ein überaus beliebtes Buch zu verfilmen und die Leser nicht zu enttäuschen. Reza Bagher aber hat sie bravourös gemeistert. Dazu konzentriert er sich auf die Freundschaft der beiden Jungen und die Bedeutung der Rockmusik, die einen Gegensatz bilden zu Niilas problematischen Familienverhältnissen und dem in jeder Hinsicht beschränkten Ort. Sogar Niemis lebhafte, temporeiche Erzählweise wird filmisch umgesetzt durch Reissschwenks, Crash Zooms, Zeitraffer und die rasante Rockmusik. Derb, laut und feinfühlig zugleich, ist "Populärmusik från Vittula" eine Hymne auf die Freiheit - ein hinreissender Film, der vor Leben sprüht.

31.05.2021

5

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Kommentare

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Gelöschter Nutzer

vor 14 Jahren

Was der Titel verspricht, wird über weite Strecken außen vor gelassen. Vielmehr sieht man eine Mischung aus Ludwig Thomas Lausbubengeschichten und Fellinis Amarcord. Die Kindheit und Jugend von zwei Buben steht dabei im Mittelpunkt. In den einzelnen Episoden tummelt sich eine beachtliche Anzahl von äußerst skurrilen Typen. Neben dem Ekelhaften gibt’s auch einen Ausflug ins Horrorgenre und fernöstlich anmutende Flugversuche. Den Bayern wird einiges wie das Fingerhakeln und Armdrücken. sehr vertraut vorkommen. Und natürlich darf die Sauna nicht fehlen. Neben diesem ganzen Klamauk überraschen dann doch auch ernste Szenen. Gegen Ende zieht sich die Handlung etwas in die Länge und das Interesse flaut stark ab.Mehr anzeigen


naniinan

vor 17 Jahren

Absolut sehenswerter Film! Tolle Bilder, tolle Schauspieler und eine nicht ganz so gewöhnliche Story mit traurigen, nachdenklichen und witzigen Szenen...


arielis

vor 17 Jahren

wunderschön-schräg-komisch-traurig-nostalgisch - den Film muss man genossen haben!


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