CH.FILM

Opernfieber Deutschland, Schweiz 2004 – 80min.

Filmkritik

Die Applausmaschine

Filmkritik: Eduard Ulrich

Während einer Oper im richtigen Moment und in angemessener Lautstärke zu applaudieren, ist eine hochentwickelte Kunst, denn es verlangt sowohl Kenntnis des Werks als auch die Fähigkeit, die gebotene Leistung beurteilen zu können. Da die Mehrheit des Publikums zuwenig davon versteht, gibt's die Claqueure, deren bedenklichstes Merkmal wohl ihre Käuflichkeit ist.

Totgesagte leben länger. In ihrer 70minütigen Dokukomödie beschäftigt sich die Theater- und Opernregisseurin Katharina Rupp mit dem schon im antiken Italien hochentwickelten Wesen des organisierten Applauses, der Claque, dessen Träger im globalisierten Opernbetrieb Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten. Während die feinsinnigen Opernliebhaber im weniger enthusiastischen Mittel- und Nordeuropa den Szenenapplaus als notwendiges Übel wahrnehmen, der innert Bruchteilen von Sekunden auch die himmlischste Stimmung zerstören kann, gehört eine üppige und unmittelbare Qualitätsrückmeldung zur Atmosphäre in den grossen Opernarenen von Verona, Mailand, Rom und Parma.

Man soll keine Vorurteile pflegen, aber wer kann sich gewisser Assoziationen erwehren, wenn bekannt wird, dass nicht nur der Applaus gegen Bezahlung straff geführter Gruppen gesteuert wird, sondern dass anscheinend auch für diese Leute das Gesetz des Schweigens gilt? Mit Charme, Geduld und wahrem Interesse gelang es Katharina Rupp, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und bis zu den inneren Zirkeln der Erfolgskontrolleure vorzudringen. Dass dabei auch noch andere seltene Pflänzchen wie der skurrile Verein ans Licht geholt werden, dessen Mitglieder nach Verdi-Opern heissen, und witzige Anekdoten von Betroffenen zum Besten gegeben werden, erfreut die Liebhaber.

Und genau an diese richtet sich diese kleine filmische Perle, die handwerklich wenig zu wünschen übrig lässt: Das Bild ist auch in den Opernsälen hell und klar, der Ton gut und die Kameraführung sujetgemäss. Einzig die Untertitel sind oft nicht gut zu lesen, weil ihnen auf hellem Hintergrund der Kontrast fehlt. Das ist aber zu verschmerzen, denn auch des Italienischen Unkundige werden die typischen Begriffe und bekannten Namen verstehen, so sie denn mit der Materie bereits etwas vertraut sind.

Dass der Film just nach den Querelen um die Scala di Milano und ihrem Versuch, Pereira von Zürich wegzulocken, in die Kinos kommt, gibt ihm eine zwar ungeplante aber verdiente Aktualität, denn wenn man sich fragt, was die Begeisterung für die Oper von Kaninchenzüchtern oder Briefmarkensammlern unterscheidet, ist es doch zu einem guten Teil, dass sie eine der am höchsten entwickelten abendländischen Kunstformen ist, die trotz ihres elitären Anspruchs immer wieder die Massen in ihren Bann zieht.

19.02.2021

4

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