Flammend' Herz Deutschland 2004 – 90min.

Filmkritik

Bilderbuch-Freundschaft

Filmkritik: Carole Koch

"Flammend' Herz" erzählt von drei ungleichen Männern, deren Freundschaft von einer gemeinsamen Leidenschaft für Tätowierungen gezeichnet ist. Ein Dokumentarfilm über Identitätssuche und Selbstverwirklichung, der unter die Haut geht.

Am Anfang war das Tattoo. Ein flammendes Herz, ein Kreuz und ein Anker. In der Historie der Tätowierungen ein klassisches Seefahrermotiv, das ewige Liebe, christlichen Glauben und die Hoffnung, bald wieder das Festland zu erreichen, symbolisiert. Für Herbert Hoffmann (84), der sich diese Tätowierung im Jahre 1950 stechen lässt, bedeutet es weit mehr als das: Nämlich der Schritt zu einem erfüllten, selbst bestimmten Dasein in einer Zeit lange vor der Akzeptanz der Körperkunst - Arschgeweih und Co. waren Stigmatas, die bestenfalls mit Seefahrertum oder Halbwelt assoziiert wurden.

Vorurteile und Diskriminierungen, die auch der Seemann Albert (90) und der Grossbürgerssohn Karlmann (90) an Leib und Seele erfahren. Geteiltes Leid und Leidenschaft legen jedoch die Basis für eine Jahrzehnte andauernde Freundschaft zwischen diesen unterschiedlichen Persönlichkeiten, welche als wandelnde Bilderbücher jede einzelne Station ihres Lebens auf der Haut tragen.

Diese gezeichneten Körper stehen im Zentrum des Dokumentarfilms. Über die Hautbilder entfalten sich die Schicksale von Herbert, Karlmann und Albert, in denen sich auch ein Jahrhundert Tätowier- und Gesellschafts-Geschichte spiegelt. Mal ironisch, mal tragisch berührt erzählen die drei betagten Männer rückblickend von Moral und Sehnsucht, Identitätssuche und Selbstverwirklichung sowie vom Entstehen und Auseinandergehen einer Bilderbuchfreundschaft. Die Auseinandersetzung mit der bewegten Vergangenheit führt das Triumvirat letztlich zur Konfrontation in der Gegenwart.

Mit "Flammend' Herz" haben Oliver Ruts und Andrea Schuler einen bewegenden Dokumentarfilm gedreht, der an der Berlinale 2004 mit dem Preis "Dialogue en perspective" ausgezeichnet wurde. Indem sie Herbert, Karlmann und Albert das Wort lassen, setzen sie deren Charme und Charisma optimal in Szene. Die hautnahe und abgerundete Darstellung der Protagonisten schafft eine aussergewöhnlich persönliche Atmosphäre, welche den Spagat zwischen objektiver Information und subjektiver Emotion spielend meistert. Ob tätowiert oder nicht, von der Lebenserfahrung der älteren Herren kann sich letztendlich jeder ein Stück abschneiden.

Herbert ist heute 84 Jahre alt. Sein erstes Tatoo ist inzwischen fast verblasst. Bereut hat er es nie: "Ich habe richtig gehandelt, dass ich mit Mutter Natur gelebt und mich nicht gegen sie gestemmt habe. Hätte ich aus angeblicher Rücksicht auf meine Umgebung oder aus ängstlichen Kleinmut meine Tätowierlust unterdrückt, wäre ich zeitlebens unglücklich gewesen". Diese Leidenschaft lebt er noch immer.

02.11.2004

4

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Kommentare

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hanwi

vor 19 Jahren

Es freut mich sehr, endlich etwas aus dem realen Leben im Kino zu sehen. Besonders freut mich, die ältere Inkgeneration erleben zu dürfen. Dies hat nichts mit den heutigen "Püppitattoos" zu tun. Das was im Film zu sehen ist, ist eine Lebenseinstellung. Danke für den Film!


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