Ganz und gar Deutschland 2003 – 94min.

Filmkritik

Frischlinge ganz- oder halbgar?

Filmkritik: Eduard Ulrich

Kurz zuvor hatte er sich noch über den Beziehungsknatsch seiner beiden besten Freunde lustig gemacht und seine Freundin in die Wüste geschickt, jetzt ist ihm das Lachen gehörig vergangen: Nachdem er unfallbedingt von der Spezies der Zweibeiner zu derjenigen der Eineinhalbbeiner degradiert wurde, fängt der Ernst des Lebens eines jungen Arbeiters abrupt an.

Torge (David Rott) ist Anfang 20, Bauschreiner, sieht gut aus und steckt voller Lebens- und Liebeslust. Ein festes Versprechen will er aber seiner Freundin nicht abgeben, dazu scheint ihm sein Marktwert wohl zu hoch, den er in seinem Übermut und mit einer gewissen Überheblichkeit gern beweist. "Hochmut kommt vor den Fall!", möchte man ihm zurufen, doch da ist es schon passiert: Torge stürzt von einem defekten Gerüst und verliert ein halbes Bein. Wie das medizinisch und unfalltechnisch zu erklären wäre, bleibt zwar im Dunkeln, sonnenklar sind dagegen die Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl, seine Attraktivität und seinen Lebensstil.

Der junge Mann verliert seine Arbeit, die Versicherung zahlt nicht, weil die Schuldfrage ungeklärt ist, und in das Raster der Institutionen passen er und sein Fall nicht. Kein Problem, sollte man meinen, hat er doch zwei beste Freunde. Leider wird das Verhältnis zu ihnen auf eine harte Probe gestellt: Der eine, Micha (Hanno Koffler), war sein Arbeitskollege und vielleicht mitschuldig am Gerüstbruch, und beide haben ihre Mühe mit Torges zunehmend unvorhersagbarem Verhalten, das zwischen Verdrängen und extremem Betonen seines Handicaps schwankt.

Kompliziert wird die Beziehung zwischen den Freunden auch durch ihre Freundinnen, die alle in derselben Synchronschwimmgruppe der Kleinstadt auf eine Sommerfestvorführung trainieren. Als ob es Torge nicht genug schwer hätte, sein "normales" Leben zu meistern, lässt er sich - ganz nach seiner alten Gewohnheit - zu einer Wette mit Micha hinreissen und behauptet, von dessen Ex-Freundin Lisa (Mira Bartuschek) das Ja-Wort erhalten zu können, welches sie jenem abschlug. Beweise werden im Zeitalter der modernen Technik gleich auf Digitalkamera festgehalten - sehr praktisch. Weniger praktisch sind allerdings die Reaktionen der Menschen auf das Publizieren ihrer Privatsphäre oder das komplizenhafte Eindringen in diejenige anderer. Das Beziehungsgeflecht entwickelt eine Eigendynamik, wodurch Torge die Kontrolle verliert, aber auch eine Chance erhält, einen Weg zu finden, mit seiner Behinderung umzugehen.

Der erste Spielfilm des Regisseurs Marco Kreuzpaintner nimmt durch Ausgelassenheit, Spielwitz und gelungene Bilder ein. Nie vertreiben die dramatischen und traurigen Aspekte des Sujets die fröhliche Stimmung. Anspielungen auf "Sex, Lies and Videotape" passen zum Humor von Regie und Drehbuch. Die ebenfalls noch junge Drehbuchautorin, Maggie Peren, spielt in einer Nebenrolle die dritte Freundin im Bunde und darf sich einen wesentlichen Anteil an der schwungvollen Mechanik der Handlung gutschreiben. Die Theaterschauspieler Rott (Torge) und Bartuschek (Lisa) überzeugen; leider ließ man Frau Bartuschek eine missglückte Heulszene durchgehen. Insgesamt ein kurzweiliges Vergnügen.

17.02.2021

3.5

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dinubeck

vor 20 Jahren

sgdf


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