CH.FILM

The Tube - Die Röhre Belgien, Schweiz 2002 – 82min.

Filmkritik

Der Fernseher als Mogelpackung für eine Droge

Filmkritik: Eduard Ulrich

Im Alter von fünf wird Regisseur Peter Entell fernsehsüchtig. Im Alter von 50 versucht er die Ursachen dafür zu ergründen, indem er sich einen Überblick des Forschungsstandes verschafft. Dass 1997 fast 700 gesunde japanische Kleinkinder Opfer der Pokémon-Epilepsie werden, weist auf große Lücken in der Forschung oder ein Verheimlichen wichtiger Erkenntnisse hin.

Seit es das Fernsehen als Massenmedium gibt, wird seine Wirkung - nicht zuletzt von der Werbewirtschaft - wissenschaftlich untersucht. Trotzdem hat man noch nicht verstanden, welche Wirkung es auf den Organismus und auf die Gesellschaft hat. Oder wissen die interessierten Kreise weit mehr, als sie preisgeben?

Solche Verdächtigungen liegen nahe, wenn man die Gespräche verfolgt, die Luc Mariot, ein welschschweizer Fernsehjournalist, während der Recherche im Kriminalfall "Die Röhre" mit Exponenten der Medienwirtschaft und -forschung führt. Er selbst hat eine kleine Tochter, die bereits Symptome einer Fernsehabhängigkeit aufweist. Fasziniert und beängstigt beobachtet er ihr Verhalten während des Fernsehens, ihren stieren Blick, ihre Apathie. Geht es nicht allen so? Wirkt Fernsehen nicht wie eine Beruhigungs- und Wohlfühldroge, die uns daran hindert, unsere eigenen Entscheidungen zu fällen? Wirkt die Werbung direkt auf das Unterbewusstsein eines Zuschauers im Fernsehhalbschlaf? War es nicht ein riesiges Risiko, das Fernsehen in großem Maßstab einzuführen, bevor verlässliche Antworten auf diese Fragen vorlagen? Sind seine gesellschaftlichen Auswirkungen überhaupt noch zu kontrollieren oder gar zu korrigieren?

Entell fürchtet sich nicht, die Büchse der Pandora zu öffnen. Dies wird klar, als er mit einem Vorgesetzten beim welschschweizer Fernsehen darüber diskutiert, was man denn zeigen wolle, wenn sich herausstellen sollte, dass das Fernsehen schädlich oder gar gefährlich sei - der Sender würde damit doch am eigenen Ast sägen. Die trockene Antwort: Dies sei ein Dokumentarfilm, und ein deartiges Resultat würde sehr wohl unzensiert dargestellt werden. Diese Diskussion sollte sich als prophetisch erweisen.

Das seriöse Unterfangen hat meine hohen Erwartungen trotz verblüffender Erkenntnisse - zum Beispiel über die unterschiedliche Wirkung verschiedener Ausstrahlungstechniken - und attraktiver Gesprächspartner wie dem Sohn des großen Medienwissenschafters Marshall McLuhans nicht erfüllt. Einige Versuchsanordnungen und Resultate hätte man hinterfragen sollen, statt sich mit ihrer Präsentation zu begnügen. Allerdings wurde auch spürbar Zeit geopfert, um zu zeigen, wie das thematische Material gewonnen wurde.

So eindrucksvoll die Tatsache ist, dass das Team mehr als 10'000 Stunden in drei Jahren hinter der Röhre verbracht hat, viel gibt das Zuschauen bei dieser Arbeit nicht her. Geduldige werden aber mit einigen Höhepunkten wie der Analyse der kritischen Pokémon-Szene belohnt.

Ironie der gesamten Geschichte ist wohl, dass die Kathodenstrahlröhre, die dem Film den Namen gibt, am Ende ihres industriellen Lebenszyklus angekommen ist. Ob sich die zentralen Erkenntnisse über ihre Wirkung auch auf alternative Techniken übertragen lassen, ist fraglich.

19.03.2003

3.5

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