La vie promise Frankreich 2002 – 93min.

Filmkritik

Ein Roadmovie mit innerer Bewegung

Filmkritik: Eduard Ulrich

Ein kluges Roadmovie, das nicht auf plumpe Action setzt, sondern mit eindringlichen Bildern, differenzierter Musik und wenigen, aber überzeugenden Schauspielern eine dichte und tragende Stimmung erzeugt. Das Lebensdrama des gefallenen Engels Sylvia kommt während einer irrealen Flucht und absurden Suche schrittweise ans Licht.

Idyllische Bilder von Blumen in der Natur ziehen vorbei, eine Kinderstimme sagt Verse über Blumennamen mit ihren vermeintlichen Lebensweisheiten auf, unterlegt ist subtile Kunstmusik; wir fühlen uns geborgen. Schnitt! Straßenstrich. Sylvia (Isabelle Huppert) schafft an. Sie hat ihre Prinzipien. Fremden vertraut sie nicht. Nur wenn ihre Freundin mitkommen darf, will sie ins Auto einsteigen, obwohl ein lukratives Geschäft winkt. Sylvia bleibt hart, das Geschäft geht flöten. Soll Sylvia das verträumte Kind gewesen sein? Das Kind, das sich seine Zukunft ganz anders vorgestellt hat, das die Verse wie Zaubersprüche verstanden haben mag, die ein gutes Leben versprachen. Warum führt die immer noch schöne Sylvia ein Leben, in dem sich Drogen und Arbeitsrisiko die Waage halten?

Agnès Fustier-Dahan (Drehbuch) und Olivier Dahan (Regie) legen zwei Lunten: Die Aufklärung von Sylvias Vergangenheit ist die psychologische Triebfeder, die dramatische liefert ein Betriebsunfall. Sylvia muss Hals über Kopf fliehen, ihre unfreiwillige Begleitung macht die Lage nicht einfacher, erzwingt aber die nötige Auseinandersetzung mit sich selbst.

In der folgenden Tour durch Südfrankreich lüftet sich der Schleier über Sylvias Geheimnisse stückchenweise, sie holt einen Entwicklungsschritt nach und fängt an, ihr Leben zu akzeptieren und zu gestalten. Zufallsbekanntschaften und die Suche nach verlorenen Passagieren oder ehemaligen Bleiben halten die Handlung in Schwung. Wichtiger sind aber die Bilder, die Musik, die Atmosphäre. Die Bandbreite des Ausdrucks ist groß, die Mittel überzeugen: Klare Zuordnung musikalischer Stile zu Erzähl- oder Erlebnisebenen; poetische, nüchtern-realistische neben fantastischen Bildern; starke Farben und manchmal groteske Verfremdungen wie bei Godard.

Und als Krönung eine berührende Isabelle Huppert, die wir besonders in den ruhigen Nahaufnahmen ihres Gesichts bewundern können: Wie sie kurzatmig an der Zigarette zieht; wie sie uns fühlen lässt, was die Redewendung "der Zug ist abgefahren" bedeuten kann. Selten war ein Zug so abgefahren, sowohl auf den Schienen als auch im Leben. Dass die Mechanik der Handlung und die psychologische Motivation nicht immer überzeugen, soll man nicht kritisieren - Hitchcock hat's vorgemacht. Auch wenn Einzelnes vielleicht manieriert und künstlich wirkt: Es wurde ein differenzierter Ausdruck für eine vielschichtige psychologische Zeichnung gefunden. Künstlerisch mutiges und spannendes Kino für Erwachsene.

16.10.2020

4

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