L.I.E. USA 2001 – 108min.

Filmkritik

Liebesdinge und deren Missbrauch

Filmkritik: Andrea Bleuler

Michael Cuesta, eigentlich Fotograf und Werbefilmer, hat mit seinem Spielfilmdebüt, einem vielschichtigen "Coming-Of-Age"-Drama, unzählige Preise geholt. Dass der Film in den USA mit einem NC-17 Rating (unter 17 kein Einlass) versehen wurde, ist für das Projekt an sich verheerend. Eine wichtiger und ergreifender Film wird dadurch einem meist viel zu wenig ernst genommenen Publikum vorenthalten.

Seit dem Unfalltod seiner Mutter auf dem Long Island Expressway (L.I.E) ist das Leben des fünfzehnjährigen Howie Blitzer (Paul Franklin Dano) komplizierter geworden. Sein Vater (Bruce Altman) ist nur noch mit der neuen Freundin und unlauteren Machenschaften im Immobilienbereich beschäftigt. Die einzige Bezugsperson ist sein gleichaltriger, aber aus ärmlichen Verhältnissen stammender Freund Gary (Billy Kay). Um der unheimlichen vorstädtischen Langeweile zu entfliehen, brechen sie in Einfamilienhäuser ein, wobei sich zwischen den beiden eine zarte "Bonnie-and-Clyde"-Romanze anbahnt.

Über Gary lernt Howie auch den alternden Ex-Marine Big John (brillant interpretiert von Brian Cox) kennen, der mit einem orangefarbenen Traumflitzer durch die üppig begrünten Wohnquartiere Long Islands tuckert. Der pädophil veranlagte Vietnam-Veteran geniesst bei der Polizei und der Schulleitung Sonderprivilegien (!) und kann so Howie vor den Konsequenzen seiner eben begonnenen Kleinkriminellen-Karriere bewahren.

Von Seiten Howies ist nun eine Gegenleistung fällig; die Frage, ob der sympathische alte Mann die grauenvolle Tat begehen wird, trägt die Spannung des verbleibenden Films. Es geht aber nicht nur um Missbrauch, Gefahr und Enttäuschungen, sondern um Liebe in all ihren Facetten: Freundschaft, gleichgeschlechtliche Liebe, die Liebe zwischen Eltern und Kind und den damit verbundenen Ambivalenzen.

Michael Cuestas Film überrascht. Die eigentliche Handlung ist für einmal nicht voraussehbar. Inhaltlich gibt es keine Schwarzweiss-Malerei, was immer wieder moralisches Unbehagen auslöst. Die Entwicklung der vielschichtigen Charaktere wird von einer ruhigen, aber prägnanten Ästhetik begleitet. Die allerstärksten Eindrücke hinterlassen jene Szenen, wo die Musik erzählt. Und wiederholt ist es Komik, und gar solche der sexuellen Art, die dazu veranlasst, von Vorurteilen abzulassen und die Komplexität der Dinge wahrzunehmen. Der Regisseur ist sich seiner Verantwortung bewusst und beweist in dieser heiklen Gratwanderung unglaubliches Geschick und Sorgfalt.

"L.I.E." wendet sich an einen selbständig denkenden, "mündigen" Zuschauer. Gerade diese mangelnde Führung des Publikums hat wohl die staatliche Zensurinstanz in den USA an der Qualität dieses starken Werks zweifeln lassen. Die Tatsache, dass dadurch nun eine wertvolle Diskussionsgrundlage für Eltern und Kinder verloren geht, zeugt von widerlichster Doppelmoral.

07.06.2021

5

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Kommentare

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patschilein

vor 21 Jahren

Ein gewagter aber gelungener Film über das wirkliche Leben


tarant

vor 21 Jahren

Sehr eindrücklicher Film!


mivetterli

vor 21 Jahren

wow, was für ein Film


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