Nur der Mond schaut zu Frankreich 1999 – 100min.

Filmkritik

Familienglück, oder so ähnlich

Filmkritik: Senta van de Weetering

Marie und Suzanne sind noch Kinder, als ihre Mutter stirbt. Lucien, ihr Vater, glaubt in den kommenden Jahren, er kümmere sich um die beide Töchter. Doch die Mädchen wissen es besser: Sie sind es, die auf ihn aufpassen und ihn eins ums andere Mal vom Selbstmord abhalten. Die Französin Christine Carrière erzählt in ihrem zweiten langen Spielfilm eine Familiengeschichte über fünfzehn Jahre hinweg.

"Glückliche Deppen", werden Marie, Suzanne und ihr Vater Lucien von den Nachbarn genannt. Alle drei geben sie sich nach dem Tod der Mutter redliche Mühe, einander das Leben erträglich zu gestalten. Lucien spielt den Clown, verteidigt vehement schlechte schulische Leistungen der Kinder, schenkt ihnen eine Katze und fährt mit ihnen in Zelturlaub. Sie ihrerseits entfernen Rasierklingen und Tabletten aus seiner Umgebung. Zu dritt bauen sie sich eine eigene, einigermassen stabile Welt auf, halten zusammen und sich gegenseitig über Wasser – bis aus den Kindern Teenager werden, die eigene Wünsche ans Leben stellen. Damit kann der Vater nicht umgehen. Die Familie bricht auseinander; die ältere Tochter lässt sich gar nicht mehr blicken, die jüngere heiratet, weint sich aber bereits am Hochzeitsfest bei ihrem Vater darüber aus, dass sie die falsche Wahl getroffen habe. Entsprechend trist sieht ihr Eheleben bald aus. Daran ändert sich auch nichts, als sie einen Sohn bekommt. Im Gegenteil, von der Mutterrolle fühlt sie sich überfordert. Lucien seinerseits verkraftet das Alleinsein schlecht, schafft es aber auch nicht, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.

Ein starkes Team vor der Kamera

Der Vater wird durchgehend von Jean Pierre Darroussin gespielt. Der Schauspieler lässt Abgründe von Melancholie aufblitzen, auch dann noch, wenn er für seine Kinder den Clown spielt. Die Töchter werden als Kinder, Jugendliche und junge Frauen von je drei Schauspielerinnen dargestellt, die in beiden Fällen eine überraschend einheitliche Figur ergeben. Die eine, als Erwachsene gespielt von Elsa Dourdet, schwankt zwischen Trotz und Verzweiflung, die andere, Garance Clavel zwischen Zerbrechlichkeit und dem Willen, weiterzumachen. Die vierte im Bunde ist Michèle Ernou als resolute Mutter Luciens, die Stärkste in der Familie.

Gespenstertanz

Christine Carrière eröffnet ihren zweiten langen Spielfilm mit einer Frequenz zum Verlieben: Eine erwachsene Person und zwei Kinder, alle drei mit Hilfe von Leintüchern als Gespenster verkleidet, tanzen zu Zirkusmusik um einen Tisch, offensichtlich vertraut mit der Musik, einander und diesem Spiel. Sie drehen sich, wirbeln und hüpfen gemeinsam herum. Die scheinbar ausgelassene Unbeschwertheit endet abrupt, als die Musik aufhört: Ein Gespenst nach dem anderen wirft die Hülle ab und blickt direkt in die Kamera. In diesem Blicken steht eine ganz andere Geschichte geschrieben.

In einer Minute hat Christine Carrière mit dieser Exposition schon gezeigt, was die Stärke des Films ausmacht: Ein schwebendes Gleichgewicht zwischen Fröhlichkeit und Traurigkeit; ein Sich-immer-gerade-noch-über-Wasser-Halten, eine Stimmung, in der bei jedem Glück der nahe Abgrund sichtbar wird.

Zwiespalt

Auf der emotionalen Ebene erhält der Film durch diese Ambivalenz seine starke Wirkung; auf einer formalen wirkt sie bisweilen als Unentschlossenheit: So erzählt die Autorin aus wechselnden Perspektiven; einmal von aussen auf die Familie blickend, im nächsten Moment lässt sie einen der Charaktere einige Sätze erzählen, schweift dann aber ziellos wieder ab. Diese Inkonsequenz der Erzählhaltung irritiert, ohne dass dadurch etwas gewonnen wäre.

Die Regisseurin und Drehbuchautorin ist mit ihrem zweiten Werk auf der Suche nach dem, was diese Familie zusammenhält, auch wenn ihre Mitglieder sich von einander entfernen. Der Film funktioniert, weil sie sich den Figuren mit derselben Zuneigung nähert, die diese einander entgegenbringen.

18.05.2021

3

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