Felicia's Journey Kanada, Grossbritannien, USA 1999 – 115min.

Filmkritik

Der nette Serienmörder

Flavia Giorgetta
Filmkritik: Flavia Giorgetta

Atom Egoyans neuster Film ist zugleich sein typischster und sein ungewöhlichster. Erstmals ausserhalb Kanadas und ohne Beteiligung seiner eigenen Produktionsfirma gedreht, erkennt man Felicia's Journey dennoch gleich als Kind Egoyans.

Zwei Menschen begegnen sich zufällig: Die junge Irin Felicia (wunderschön: Elaine Cassidy) sucht in Birmingham nach ihrer grossen Liebe, dem Vater ihres werdenden Kindes. Bei der Suche nach der Rasenmäherfabrik, in der Johnny (Peter McDonald) arbeiten soll, lernt sie den beleibten Kantinenchef Hilditch (Bob Hoskins) kennen, der sich hilfsbereit zeigt. Darin hat er Übung: Es ist nicht das erste Mal, dass er ein gesellschaftlich momentan überfordertes Mädchen unterstützt, ihm stundenlang zuhört und ihm gegebenenfalls auch finanziell unter die Arme greift. In dieser Vaterrolle kann Hilditch das von sich geben, was ihm in seiner Kindheit versagt wurde. Er selbst hatte als Knabe für seine Mutter wortwörtlich die Statistenrolle gespielt.

Jeden Abend kocht Hilditch nach den Anweisungen der Fernsehköchin Gala (Egoyans Frau Arsinée Khanjian mit französischem Akzent). In den aufgenommenen schwarz-weiss Sendungen erscheint manchmal ein pummeliger Junge: Hilditch als Kind. Seine Mutter nimmt ihn bloss wahr, wenn er der Sendung einen "Jö-Effekt" verleihen kann, was der tolpatschige Junge natürlich allzu oft vermasselt. Die Wohnung des erwachsenen Hilditch, der es statt zu Berühmtheit bloss zum Kantinenchef gebracht hat, gleicht einem Schrein für seine Mutter. Alte Fotos von ihr, Küchengeräte, die sie einst vermarktete und natürlich das allabendliche Kochen Hilditchs nach den aufgezeichneten Anleitungen seiner Mutter verdeutlichen den Mutterkomplex, der wie ein Schatten über Hilditch liegt.

Die Mädchen können die Leere, die der Tod der Mutter hinterlassen hat, nicht ausfüllen. Zwar versucht Hilditch mit allen Mitteln, sie von ihm abhängig zu machen, doch sobald die desorientierten Frauen wieder Halt in der Gesellschaft finden, wollen sie ihn verlassen. Dass Hilditch ihnen bereits einen Teil ihrer selbst gestohlen hat, indem er sie während den Autofahrten mit einer versteckten Videokamera aufnimmt, wissen sie selbstverständlich nicht. Genausowenig ahnen sie, dass sich der nette, hilfsbereite und vor allem einsame Mann schliesslich als Serienmörder entpuppt.

Es ist kein Zufall, dass die Musik von Egoyans Hauskomponisten Mychael Danna manchmal an diejenige Bernard Herrmanns in Hitchcocks Psycho erinnert. Beide Regisseure kennen ihren Freud gut: Eine komplett gestörte Mutterbeziehung erklärt sowohl Norman Bates' als auch Hilditchs Wahrnehmung und lässt sie zu Mördern werden. Das Aufzeigen "abnormaler" Familienverhältnisse verbindet Felicia's Journey mit allen anderen Filmen Egoyans - angefangen mit Next of Kin, in dem sich der junge Peter eine neue Identität und dadurch eine neue Familie zulegt, bis zu The Sweet Hereafter, in dem die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs von Nicole die Entscheidung herbei führt.

Zudem spielt das Medium Video im Umgang mit der Wahrheit einmal mehr eine grosse Rolle. Dank Hilditchs Aufnahmen öffnet sich dem Zuschauer die Tür zum Denken des Serienmörders einen Spalt. Die Filme - Felicias soll "Irish Eyes" heissen - widerspiegeln immer Hilditchs Wahrnehmung. Während diese Aufnahmen die Eingeengtheit Hilditchs in Bilder fassen, schwenkt die Kamera (Egoyans bewährter Stammfilmer Paul Sarossy) an anderen Stellen wiederholt in den Himmel, wo die Freiheit auf die Einsamkeit der Unendlichkeit trifft. Dank den beiden Hauptdarstellern werden diese gegensätzlichen Pole auch in den Figuren spürbar. Cassidy gelingt es, Naivität mit unbeholfener Lebensweisheit zu vermischen, und Hoskins schafft es, sich durch seinen Blick von einer Sekunde zur nächsten vom fürsorglichen Ersatzvater in den Teufel zu verwandeln.

07.06.2021

5

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