Die Bettlektüre Frankreich, Niederlande, Grossbritannien 1995 – 120min.

Filmkritik

Auf den Leib geschrieben

Filmkritik: Martin Glauser

Mit Büchern und menschlichen Körpern kann man einiges mehr anstellen als lesen und Sport treiben, soviel hat Peter Greenaway, der diplomierte Bücherexperte und Anatomieforscher unter den Filmautoren, in seinen bisherigen Werken klargestellt.

In ZOO (1985) liess er Körper im Zeitraffer verwesen, subtrahierte Gliedmassen. Im Bauch des Architekten (1987) bahnte sich eine Tragödie an. Mit Büchern zu Tode gefüttert wurde derLiebhaber der Frau des Diebes, vom Koch wurde sein Leichnam kunstvoll zubereitet (1989). Prosperos Bücher (1991) bewegten sich multimedial und bevölkerten Shakespeares Eiland mit einer Unzahl nackter Körper. Und überhaupt: niemand macht Filme mit so viel nacktem Fleisch und mit so vielen losen Buchseiten, die vom Sturmwind quer über opulente Filmtableaus gepeitscht werden - Man wundert sich immer wieder, wie ausgerechnet ein britischer Intellektueller dazu kommt, die üppigsten Bilderorgien zu veranstalten. Weshalb geraten bei ihm Literaturverfilmungen so genuin cineastisch? Wie kann eine hochstilisierte, artifizielle Formensprache gleichzeitig so lukullisch und traumhaft wirken.

Greenaway scheint sich als Lebensaufgabe auf den Leib geschrieben zu haben, diese Aporien von Intellektualität und Sinnlichkeit, von Kultur und Natur, Logos und Eros und ihre jeweiligen Superzeichen - eben das Buch und der nackte Körper - in seinen Filmen zusammenzubringen. Allerdings nicht in der esoterischen Variante, welche die Gegensätze leugnet und Einheitsidyllen postuliert, sondern als Problem.

Und das Wort ward Fleisch. Mit "The Pillow Book" hat Greenaway das bisher intimste Verhältnis zwischen Schreiben und Lieben hergestellt, indem hier der Körper buchstäblich zum Buch wird. Als Mädchen bekam Nagiko (Vivian Wu) von ihrem Vater, einem Kalligrafen, Geburtstagsgrüsse auf Gesicht und Nacken geschrieben. Als Erwachsene sucht sie nun Liebhaber, die ähnliche Fertigkeiten besitzen. Doch Jerome (Ewan McGregor), ein englischer Übersetzer, will selber als Schreibfläche dienen und entfesselt damit Nagikos eigentliche künstlerisch-erotische Obsession. Nagikos Ganzkörpertexte finden einen Verleger. Eifersucht und Tragik kommen ins Spiel, als Jerome sich einerseits auf ein Liebesverhältnis mit dem Verleger einlässt, andererseits seine Haut für Nagikos literarische Produktion nicht mehr ausreicht.

Das hört sich alles nach einer richtigen Geschichte an. Aber gerade sie unter den verschiedenen Montageprinzipien heraus zu destillieren, ist bloss alter Brauch der Filmkritik. Greenaway pflegt seinen Filmen andere Strukturen zu unterlegen als narrative. Organisierten z.B. die Zahlen 1-100 die Oberfläche von Drowning By Numbers oder Prospero's Books die Inhalte verschiedener Sachbücher, so sind es in "The Pillow Book" die 13 Kapitelnamen des 1000jährigen Kopfkissenbuches von Sei Shonagon. Überhaupt gibt es auf formaler Ebene einmal mehr allerlei zu bestaunen und zu enträtseln. Aus "Prospero's Books" kennen wir bereits das Framing, der Screen im Screen, jene dekonstruierenden Verfahren, die uns auf der Kinoleinwand noch sehr ungewohnt und irritierend vorkommen, in "The Pillow Book" ergänzt durch schwebende Texte und kleine Felder, die so sehr an Ästhetik und Steuerelemente von Internet und CD-Rom erinnern, dass es einem im Zeigefinger juckt. Zu Multimedia auf Big Screen fehlt wirklich nur noch die Interaktivität. Und wie üblich bei Greenaway: göttliche Interieurs (japanisch angehaucht mit Bambus und Quadraten), Designer-Garderobe (von Issey Miyake) und toller Soundtrack - endlich nicht mehr das Michael-Nyman-Gedudel, sondern ein echter west-östlicher Divan der japanisch-europäischen Populärmusik.

Gestattet sei mir, zum Schluss den einzigen europäischen Schauspieler hervorzuheben: Ewan McGregor, der ausserordentliche Mark Renton aus Trainspotting, eben erst 25, ein Ausnahmetalent unter den vielen Junglangweilern. Er kann sich auch nackt sehen lassen - muss natürlich, bei Greenaway. Der "Schwanz des Nordens", wie ihn "Face" betitelte. Er hat alles was es braucht, und wenn er nicht vorher aufhört (Überdosis, Autounfall), ist er in zwei, drei Jahren ein Superstar. Es spricht sowohl für den jungen Lümmel aus Schottland als auch für den reifen Kunst-Regisseur, dass der eine den andern verpflichtete.

28.11.2007

4

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Kommentare

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Gelöschter Nutzer

vor 18 Jahren

Du nimmst mir die Worte aus dem Mund Danila.


bumblebeefliesanyway

vor 18 Jahren

sehr spezieller film. Kann für Leute, die 0815 und Hollywood Filme lieben, langweilig erscheinend. Ich finde ihn gerade wegen seiner Einzigartigen Bilder und dem speziellen Aufbau sehr fesselnd. Die Schauspieler überzeugen.


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