Kritik26. April 2023

«Dead Ringers»: Die zwei Gesichter der Rachel Weisz

«Dead Ringers»: Die zwei Gesichter der Rachel Weisz
© Niko Tavernise/Prime Video

Die Serie, die auf David Cronenbergs Horrorklassiker basiert und gerade bei den Canneseries für Furore gesorgt hat, landet nun bei Prime Video. Hier ist unsere Kritik zu «Dead Ringers».

Text von Théo Metais, übersetzt von Maria Engler

Der Film «Dead Ringers» aus dem Jahr 1988 basiert auf dem Roman «Twins» von Bari Wood und Jack Geasland. Jeremy Irons spielt die Zwillinge Beverly und Elliot, beide Gynäkologen, die sich alles teilen: eine Klinik, eine Wohnung, Frauen und Obsessionen. Zwischen den beiden Brüdern entwickelt sich eine gefährliche Abwärtsspirale. Als Beverly eine Beziehung mit einer Schauspielerin beginnt, wird er von seinem exzentrischen und narzisstischen Bruder daran gehindert. Bald verfällt der Arzt den Drogen und verstösst gegen die medizinische Ethik. Der Thriller des Meisters des Body Horror, David Cronenberg, erzählt etwas über den Fetischismus der Medizin. Eine verstörende Fabel mit enormem Potenzial, das die ausgezeichnete Dramatikerin Alice Birch zu dieser überaus gelungenen Neuinterpretation inspiriert hat.

Nun übernimmt Rachel Weisz die Rolle. Die Oscar-Preisträgerin schlüpft in die Rolle von Beverly und Elliot Mantle, zwei eineiigen Zwillingen, die als Gynäkologinnen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehen und eine Klinik leiten, die auf dem neuesten Stand der Forschung ist. Die Schauspielerin, die der amerikanischen Website Indiewire sagte, sie habe ganze Szenen vor einer Zweitbesetzung gedreht und sie dann mit einem Headset als Gegenpart nachgespielt, ist atemberaubend. «Zu Beginn der Dreharbeiten bereitete es mir Kopfzerbrechen», sagt Rachel Weisz, aber ihre Doppelrolle ist ebenso überzeugend wie ihre Authentizität unmittelbar. Ein Kunststück liefert «Dead Ringers» gleich zu Beginn der ersten Episode, als Beverly und Elliot nach einem anstrengenden Tag in einer Bar einen x-beliebigen Stalker verprügeln.

Rachel Weisz versucht mit Britne Oldford ein neues Leben zu beginnen © Niko Tavernise/Prime Video

Die ambivalenten und antagonistischen Persönlichkeiten der beiden Mantle-Schwestern lassen die Emanzipation der einen und die Versklavung der anderen erkennen. Es entsteht eine schwere und gefährliche Situation der gegenseitigen Abhängigkeit. Sie sind führende Ärztinnen auf dem Gebiet der Embryologie und haben sich zum Ziel gesetzt, die Mutterschaft zu revolutionieren, Fruchtbarkeitswunder zu vollbringen und die Frauen durch die Medizin zu emanzipieren. Man muss genau aufpassen, denn das Drehbuch von «Dead Ringers» ist schon jetzt eines der anspruchsvollsten des Jahres. Die Serie ist komplex, spannend und bewegt sich am Rande des Transhumanismus. Sie untersucht sowohl das weibliche Begehren als auch den Wunsch, die Grenzen des weiblichen Körpers zu erweitern, in einer Dekonstruktion der heiligen Mythologie der Geburt.

Es ist ein wissenschaftlicher Mahlstrom auf unbekanntem Terrain. Die inhaltlich explizite Serie analysiert auch eine andere, viel krassere Realität, nämlich die Klassenprobleme und den Rassismus im Krankenhaus. Rachel Weisz, die ebenfalls am Drehbuch beteiligt war, und Alice Birch lassen diese Themen in einem kapitalistischen Wechselbad mit vielen Einflüssen aufgehen, da die Zukunft der Klinik in den Händen einer reichen Wellness-Unternehmerin liegt. Die soziologischen, medizinischen und philosophischen Implikationen von «Dead Ringers» sind schier unerschöpflich.

Experimente von Rachel Weisz in «Dead Ringers» © Niko Tavernise/Prime Video

Es ist eine Geschichte, die so gross ist wie ihre Figuren. Alice Birch (Autorin von «The Wonder» auf Netflix und zahlreicher Episoden der Serie «Succession») hat ihr Talent bereits unter Beweis gestellt und liefert eine perfekte Hommage an Cronenbergs Klassiker und gleichzeitig eine brillante Neuinterpretation. Es seien djenigen gewarnt, die sich mit leerem Magen an die Serie wagen. Die sechs Episoden dieser Miniserie erfordern ein versiertes Publikum und eine besondere Hingabe für das Thema. «Dead Ringers» ist eine avantgardistische Serie, eine düstere Diskussion über die Grenzen des Menschlichen, die medizinische Ethik und den Fortschritt.

4 von 5 ★

Seit dem 21. April auf Amazon Prime Video im Stream.

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