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Orkan im Gegenwind

Gerhard Schaufelberger
News: Gerhard Schaufelberger

In den USA dreht sich die Kontroverse um die Figur Rubin Carter, den Titelhelden aus Norman Jewisons Film «The Hurricane» nicht zuletzt um die Opfer des zweifach wegen Mordes verurteilten Boxers. Während Denzel Washington nach dem Golden Globe auch noch den Silbernen Bären für seine schauspielerische Glanzleistung davonträgt, bezichtigen die Hinterbliebenen der Opfer des mutmasslichen Mörders Carter die Filmemacher der Geschichtsklitterung und Beschönigung.

Orkan im Gegenwind

Carter war 1966 zusammen mit seinem Komplizen Jon Artis der Tötung des Barmans Jim Oliver und der beiden Geranten Tanis und Nauyoks für schuldig befunden worden. Als der Prozess 1975 wieder aufgerollt wurde, machte man zwar ihre Verurteilung rückgängig, doch bereits ein Jahr danach folgte erneut ein Schuldspruch. Erst 1985 bewirkte ein Bundesrichter die Freilassung des «Orkans» mit der Begründung, dieser sei zu Unrecht beschuldigt worden, die Verbrechen aus rassistischen Rachemotiven begangen zu haben.

Es sei eine Zumutung, dass man um den Preis eines Kinoeintritts die Tötung der eigenen Mutter nochmals mitansehn müsse, und die Tatsachen derart verdreht und beschönigt sehe, dass aus einem kaltblütigen Mörder ein Held werde, hält eine Hinterbliebene dagegen. Ein weiterer Affront gegen die Familien der Opfer sei es auch gewesen, dass Denzel Washington, als er zusammen mit dem echten «Hurricane» den Golden Globe entgegennahm, öffentlich verkündete: «Dieser Mann hier ist Liebe, ganz Liebe!».

Der Film stellt Carter mindestens darin beschönigend dar, dass behauptet wird, er sei als Erwachsener für seine Lausbubenstreiche verurteilt worden, während er in Wirklichkeit wegen mehrerer Raubüberfälle verurteilt wurde.

Anlass zum Zwist war auch die erfundene Figur des Polizisten Vincent Della Pesca, der Beweismaterial fälscht, um Carter zu belasten. Dies beleidigte einen Nachkommen des damals leitenden Untersuchungsbeamten, der seinen Vater arg verleumdet sieht. Produzent Rudy Langlais liess verlauten, die Figur des rassistischen Detektivs sei konstruiert worden, um eine grosse Zahl von Justizbeamten zu «vertreten». – Bingo!

Es geht hier wohl weniger darum, ob Carter nun schuldig ist und als freier Mörder umher läuft, oder ob er am Ende doch selbst Opfer der rassistischen US-Justiz der 60er Jahre ist, denn das wird niemals ein weltliches Gericht aufklären. Zu Recht wird aber einmal mehr die Frage aufgeworfen, inwiefern Hollywood überhaupt Anspruch auf «historische Brisanz» in seinen Filmen erheben darf, solange der schnöde Mammon immer wieder dazu verleitet, Geschichte gerade so lange gewissenhaft zu betreiben, als sie nicht zu kompliziert für das zur Kasse gebetene Publikum wird.

22. Februar 2000

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