CH.FILM

Burning memories Schweiz 2021 – 80min.

Filmkritik

Schritt um Schritt Vergangenheit bewältigen

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Während einer Reise durch die Wüste Südafrikas geht die Filmemacherin Alice Schmid der Frage nach, welchen Einfluss ein jahrelang verdrängtes, traumatisches Ereignis auf ihr Leben und Schaffen hatte. Ein ehrlicher und mutiger, zugleich sehr poetischer Film.

Alice Schmid wurde 16-jährig Opfer eines Missbrauchs. Sie reagierte in den späten 1960ern in der katholischen Innerschweiz auf das ihr Widerfahrene so wie andere in gleicher Situation wohl auch: mit Schweigen und schulischer Verweigerung. Die nicht ins Vertrauen gezogenen Eltern schickten ihre davor aufgeweckte Tochter daraufhin für ein Jahr in ein belgisches Internat mit vielen Mädchen aus dem bürgerkriegsgeplagten Kongo.

In der Begegnung mit diesen Mädchen fand Schmid ihre Sprache wieder. Sie begann zu vergessen und entdeckte ihre Faszination für Afrika. Zurück in der Schweiz besuchte sie das Lehrerseminar, fand danach auf Umwegen zum Film. Seit 1993 hat sie ein Dutzend kürzere und längere Filme realisiert und einige Bücher geschrieben, die meisten handeln von Kindern, die Gewalt erlebt haben.

In der Ausübung ihres Berufes reiste Schmid immer wieder in Krisen- und Kriegsgebiete. Dies, obwohl sie an Schlafproblemen und Angstattacken litt, denen sie mit allen nur möglichen Therapien Herr zu werden versuchte. Dabei wurde sie öfters gefragt, ob sie selber einen Missbrauch erlebt habe, und hat diese Frage immer verneint. Doch vor wenigen Jahren entdeckte sie in einem Museum in Oslo Edvard Munchs Gemälde „Pubertät“, das ein auf einer Bettkante sitzendes nacktes Mädchen mit riesigem Schatten zeigt. Da war sie blitzartig da, ihre Erinnerung an eine Nacht, die sie als 16-Jährige während einem Sportlager im Zelt eines Trainers verbrachte.

Während einer Reise in die Wüste Südafrikas stellt sich Schmid den sie danach überflutenden Erinnerungen. Sie klagt dabei nicht an und nennt keine Namen. Vielmehr taucht sie ein in ihre eigene Geschichte. Sie verortet das Geschehene in Zeit, Ort und Gesellschaft, hinterfragt herrschende Normen und (moralische) Vorstellungen, aber auch ihr eigenes Verhalten und wirft die Frage auf, welche Funktion Vergessen und Verdrängen für das Leben haben.

„Burning Memories“ ist – radikal persönlich – ein aufwühlendes Schmerzensprotokoll. Er ist, von Katrin Slater sensationell fotografiert und von Anja Bombelli elegant montiert, zugleich aber auch hochpoetisch. Sozusagen ein Selbstporträt, in dem sich Schmid – malend, schreibend und musizierend – als so unerschrockene wie sensible Künstlerin erweist, die ihr Augenmerk immer wieder auf brennende Themen der Gesellschaft lenkt.

24.02.2021

4

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