CH.FILM

Von Fischen und Menschen Schweiz 2020 – 87min.

Filmkritik

Die plötzliche Unerträglichkeit des Seins

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Stefanie Klemm lotet in ihrem beeindruckenden Spielfilmerstling die durch ein unglückliches Ereignis plötzlich veränderten Gefühlszustände und sich neu definierende Beziehung ihrer Protagonisten aus.

Judith lebt mit ihrer kleinen Tochter Milla in einem abgelegenen Tal im Schweizer Jura und betreibt eine Fischzucht. Die beiden waren nicht immer alleine. Millas Vater hat früher bei ihnen gelebt, wohl auch einige Freunde. Jüngst nun hat Judith einen Gehilfen engagiert. Gabriel ist jung, tüchtig, zuverlässig, charmant. Er gefällt Judith und auch Milla schliesst den sensiblen jungen Mann schnell in ihr Herz.

Doch Gabriel hat eine schwierige Vergangenheit. Die Arbeit in der Forellenzucht und das Leben auf dem Land sind ein Versuch davon wegzukommen. Eines Tages taucht unverhofft sein Bruder David im Tal auf. Er ist drogensüchtig, scheint verstört, verlangt Geld. Gabriel versteckt ihn im Estrich und verheimlicht Judith und Milla dessen Anwesenheit. Und dann sind Judith und Milla wenige Tage später zur falschen Zeit am falschen Ort. Was infolge eines kriminellen Aktes, einer kleinen Unachtsamkeit, eines Zufalles geschieht, verändert die Leben aller Beteiligten radikal.

Stefanie Klemm inszeniert bodenständig, nüchtern, realitätsnahe. Ihr Film lebt stark von seinen Darstellern. Von Sarah Spale in der Rolle Judiths, deren Spiel – wie schon in „Wilder“ und „Platzspitzbaby“ – sehr körperlich, sehr präsent und einnehmend intensiv ist. Und von Matthias Britschgi, der in sensibler Darstellung als Gabriel überzeugt, Spale wenn auch nicht ganz, so doch weitgehend die Stange zu halten vermag. Lia Wagner als Milla ist - wie viele Kinderdarsteller – ein Naturtalent.

Klemm, für Drehbuch und Regie zuständig, vermischt in ihrem Spielfilmerstling Elemente des Thrillers mit denjenigen des Dramas und der Tragödie. Sie erzählt nicht chronologisch, sondern situationsbezogen assoziativ. Sie fokussiert nicht auf die Handlung, sondern auf Stimmungen und Gefühlszustände und streift dabei grosse Themen wie Trauer, Schuld und Rache.

„Von Fischen und Menschen“ bettet sich cool fotografiert tief in die Landschaft ein und Marcel Vaids ausgefeilter Soundtrack trägt viel zu des Films atmosphärisch dichter Stimmung bei. In seinen stärksten Momenten erinnert Klemms Film unmittelbar an Ben Afflecks „Gone Baby Gone“ und Atom Egoyans „The Sweet Hereafter“.

Doch Klemm ist noch nicht ganz Meisterin ihres Fachs. Es gibt in ihrem Film lose Fäden, kleine Ungereimtheiten und ein offenes Ende, das nicht zum Rätseln einlädt, sondern ratlos macht.

23.03.2021

3.5

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

thomas_chiandusso

vor 2 Jahren

Ein grossartiger, berührender und sehr spannender Film. Und einer der besten Schweizer Filme überhaupt!


Mehr Filmkritiken

Challengers - Rivalen

Kung Fu Panda 4

Civil War

Back to Black