The Wild Pear Tree Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Nord Mazedonien, Schweden, Türkei 2018 – 188min.

Filmkritik

Männerspaziergänge

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Nuri Bilge Ceylan forscht auf den Fersen eines Möchtegern-Literaten dem Sinn des Seins und den Befindlichkeiten der türkischen Gesellschaft nach.

Sinan kehrt nach Abschluss seines Studiums aus Istanbul in das am Saum der Dardanellen-Meerenge gelegene Städtchen seiner Kindheit zurück. Er möchte sich künftig der Literatur verschreiben, hat ein erstes Manuskript bereits schon fertig: Keinen Tourismus-Führer, wie ihn der Bürgermeister gerne sähe, sondern einen Roman, der um die spezifischen Gegeben- und Eigenheiten der Provinz kreist. Doch für einen solchen Roman, oder auch nur dessen Druck, ist, so sehr der Bürgermeister dies bedauert, von offizieller Seite beim besten Willen kein Geld lockerzumachen.

Überhaupt wird von Sinan anderes erwartet. Er sollte sich, wie es seine Ausbildung nahelegt, möglichst bald das Lehramtspatent machen und eine Stelle suchen. Dies nicht zuletzt, um damit auch die Schulden seines zur Spielsucht neigenden Vaters abzubezahlen und die Ehre der Familie wiederherzustellen. Doch Sinan tut sich schwer mit dem in seinen Augen gescheiterten Vater, der zu Hause den Macho durchgibt, sein Gehalt regelmässig im Wettbüro liegen lässt und seine freien Tage – felsenfest davon überzeugt, irgendwann auf Wasser zu stossen – mit dem Graben eines Brunnens ausserhalb des Dorfes verbringt. Sinan lässt sich treiben. Streitet sich ab und zu mit seinem Vater, telefoniert mit Studienkollegen, begegnet alten Freunden. Er meldet sich fürs Lehramts-Examen an und versucht auf Tipp des Bürgermeisters einen sich gern als Mäzen ausgebenden, lokalen Unternehmer für seinen Roman zu gewinnen.

Nuri Bilge Ceylan hat das, wie in seinen bisherigen Filmen, mit viel Flair für die geografischen Eigenheiten der Landschaft und Schönheit der Natur in langen Einstellungen fotografiert und erweist sich dabei einmal mehr als Meister der subtilen Cadrage. Dabei entwickelt sich die Handlung seines Films von Begegnung zu Begegnung, beziehungsweise Dialog zu Dialog weiter. Meist sind es Männer, die sich miteinander unterhalten; nicht selten brechen sie eifrig disputierend zum gemeinsamen Gehen auf. Die aufgegriffenen Themen reichen von persönlichen Problemen des Helden – macht es Sinn, der Berufung als Literat zu folgen, oder ist es weiser, eine sichere Stelle zu suchen? – über die gegenwärtige Lage der Türkei, bis zu ewig gültigen Fragen von Ethik und Moral, wobei da und dort leise kritische Untertöne mitschwingen. The Wild Pear Tree ist ein gross angedachter Film und beeindruckend schöner Film, der – zumindest für des Türkischen nicht mächtige Zuschauer – allerdings mit einem riesigen Handicap daherkommt: Er ist derart dialoglastig und informationsdicht, dass man vor lauter Untertitel kaum dazu kommt, die Bilder zu betrachten.



18.02.2019

4

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