The Bra Aserbaidschan, Deutschland 2018 – 90min.

Filmkritik

Lokführer in Liebesnot

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Veit Helmer erzählt ohne gesprochene Dialoge von eines Mannes Suche nach Zwischenmenschlichkeit.

Der unverheiratete Lokführer Nurlan fährt mit seinem Güterzug während Jahren von seinem in den Bergen Aserbeidschans gelegenen Heimatdorf in die am kaspischen Meer gelegene Hafenstadt Baku und zurück. Er durchquert dabei weite Landschaften, fährt an abgelegenen Bahnstationen und kleinen Dörfern vorbei. In Baku rattert er mit seinem Zug, oft kaum einen Meter weit von den Häusern entfernt, durch ein dicht besiedeltes Quartier. Gedreht wurden diese Szenen, in denen ein kleiner Junge mit Trillerpfeife vor dem Zug herrennt, worauf die Anwohner eiligst ihre darauf aufgestellten Stühle, Tische und Wäscheleinen wegräumen, im heute mehrheitlich abgerissenen alten Hafenviertel, das dessen Bewohner „Shanghai“ nannten.

Trotz dieser hektischen Räumungsaktion bleibt an der Lok bisweilen etwas hängen: ein einem Kind aus den Händen gerollter Ball, ein zum Trocknen aufgehängtes Bettlaken. Normalerweise bringt Nurlan diese Fundgegenstände, nachdem er am Abend die Lok gewaschen und in den Schuppen gefahren hat, ihren Besitzern zurück. Am Tag, an dem er in Rente geht, bleibt als letztes Fundstück aber ein türkisblauer Büstenhalter übrig. Nurlan hat keine Ahnung, wo sich dieser an der Lok verhängt hat und wem er gehören könnte, macht sich gleichwohl aber auf die Suche nach dessen Besitzerin.

The Bra schreibt sich visuell stark und inszenatorisch originell ins Ur-Genre des Eisenbahnfilms ein. Er kommt ohne gesprochene Dialoge, aber mit einem exzellent ausgearbeiteten Soundtrack daher, die sich immer wieder mächtig durchs Bild schiebende Zugskomposition verweist dabei unübersehbar auf die Filmgeschichte. Er enthält auch einige sehr hübsche Szenen. In einer der gelungensten spielt Nurlans Nachfolger spätnachts in einem ausrangierten Waggon zum Klappern und Stampfen eines leerlaufenden Eisenbahnmotors ein herzerweichend-melancholisches Trompetensolo, ansonsten gibt es im Film viel beschwingten Balkan-Jazz.

Im Kern aber erzählt Veit Helmers Film, unübersehbar in Anlehnung an das Märchen „Aschenputtel“, von eines Mannes Sehnsucht und Suche nach der Liebe. Dass Helmer anstelle eines goldenen Schuhes einen BH verwendet, verpasst dem Film leider einen verhaltenen Touch, der ihn in einigen Szenen nur knapp an billigen Männerträumen vorbeischrammen lässt. Alles in allem aber ist The Bra ein wunderbar einfühlsamer, verschmitzt und herrlich romantischer Film, der getragen wird vom starken Spiel und stillen Charme seines grossartigen Hauptdarstellers Predrag 'Miki' Manojlovic.

23.07.2020

4

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Kommentare

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cliff_ramsey

vor 3 Jahren

Kann man sich getrost sparen.


thomasmarkus

vor 3 Jahren

Wer kein Azərbaycan dili spricht, hat keinen Nachteil. Allerdings sind manche Szenen in ihrer Sprachlosigkeit dann beinah etwas gekünstelt.
Ansonsten teil ich die Schlusswertung von Predrag 'Miki' Manojlovic - wär noch spannend, was anstelle des Büstenhalters durch den Film hätte führen können. Denn einerseits ist das aschenputtelhafte Anprobieren dezent inszeniert, andrerseits das Wegfliegen desselben dann ausserordentlich Märchenhaft.
Ganz kurz (?) blitzen in der Ferne mal die Glashochhäuser Bakus auf, so gesehen auch ein Abgesang auf das alte Hafenviertel. Mit einer Prise postsowjetischem Charme.Mehr anzeigen


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