Girl Belgien, Niederlande 2018 – 105min.

Filmkritik

Qualvolle Selbstfindung

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein sechzehnjähriges Mädchen quält sich: Einerseits will Lara Ballerina in Brüssel werden, andererseits steckt sie noch im Körper von Viktor. Sie wartet ungeduldig auf die entscheidende, geschlechtsangleichende Operation. Der belgische Filmautor Lukas Dhont beschreibt einen schmerzlichen Prozess und eine Selbstfindung – mit einem überragenden Victor Polster als Gender-Mädchen.

Das tut grausam weh: Spitzentanz (en pointe) ist für die sechzehnjährige Lara eine Qual. Eigentlich hätte sie damit bereits vor zehn Jahren anfangen müssen, erklärt ihr die Tanzlehrerin. Die Folge: Sie «kasteit» ihre Füsse bis aufs Blut. Denn Lara ist ehrgeizig, sie will Ballerina werden und besucht deshalb eine Elite-Ballettschule in Brüssel – ohne Rücksicht auf Verluste.

Gleichzeit steckt der Teenager mitten in einer Umwandlungsphase, im Prozess einer Geschlechtsumwandlung. Lara hiess einst Viktor, und wird von ihrem kleinen Bruder Milo (Oliver Bodart) in einer heftigen Auseinandersetzung schmerzhaft daran erinnert. Ansonsten wird Lara von ihrem Vater Mathias (Arieh Worthalter) verständnis- und liebevoll behütet, begleitet, «bemuttert» - auf ihrem Gender-Weg zur Frau. Ärztin wie Psychologe unterstützen sie mit viel Einfühlungsvermögen, mahnen zur Geduld und raten zur Aufgabe ihrer Tanzambitionen.

Lara fühlt sich in ihrem Körper gefangen, will endlich auch physisch eine ganze Frau werden. Die Hormonbehandlung geht ihr zu langsam. Sie sehnt sich nach Brüsten, schnürt ihren Penis ein, auch um in der Ballettschule nicht aufzufallen. Die Mittänzerinnen sind eingeweiht, gleichwohl stellen sie Lara bloss.

Der Teenager kämpft an zwei Fronten – als Pubertierende zwischen Knabe und Mädchen und als Tanzschülerin. Lara ist stark und verlangt ihrem Körper besessen und verbissen alles ab. Die Kamera (Frank van den Eeden) bleibt hautnah, geradezu schmerzhaft nahe an der Heldin und ihrem Körper. Die Protagonistin Lara setzt sich einem inneren wie äusseren Kampf und ihren Körper rigoros aus. Sie tut alles, um die zu werden, die er/sie sein möchte.

Verständnisvoll und sensibel beschreibt Lukas Dhont aus Gent in seinem Erstlingsfilm den Prozess – physisch wie psychisch – einer Reifung und Selbstfindung. Das sehr intime Drama über Transformation und die komplizierte, alles abverlangende Geschlechtsumwandlung ist auch die Geschichte einer Leidenschaft einer jungen Frau im Umbruch: Lara, der Viktor Polster ungemein Ausdruck verleiht. Eine grandiose schauspielerische Leistung des 16-jährigen Belgiers, selbst ausgebildeter Tänzer, der den Film trägt und zu einem Erlebnis werden lässt.

20.02.2024

5

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Kommentare

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mirjam.eglin

vor 5 Jahren

Sehr eindrücklich, wie der innere Kampf dargestellt wird. Super Schauspieler!


Patrick

vor 5 Jahren

Die Story wird sehr gemächlich erzählt vielleicht zu gemächlich,aber es ist eine Freude den Darstellern zu zu sehen den Sie spielen ihre Rollen sehr behutsam und liebewohl ja sogar Oscarwürdig.Das Finale kommt verstörend daher und etwas verstörend verlässt man auch den Kinosaal.Victor Polster (als Lara) bekam zu recht 2018 in Cannes den Preis als Bester Darsteller.Der Film könnte ins Oscar Rennen 2019 einsteigen in den Sparten:Bester Darsteller Victor Polster und als Bester Fremendsprachiger Film,den Hauptpreis(Goldenes Auge)am Zürich Film Festival hat der Film schon gewonnen..Ich habe Girl am ZFF.2018 gesehen in Anwesenheit vom Filmemacher Lukas Dhont.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 5 Jahren


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