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Yvette Z'Graggen - Une femme au volant de sa vie Schweiz 2016 – 89min.

Filmkritik

Ihrer Zeit voraus

Irina Blum
Filmkritik: Irina Blum

Eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war, und ihr Leben in der Schweiz des 20. Jahrhunderts: Frédéric Gonseth nimmt uns in der Doku Yvette Z’Graggen – Une femme au volant de son vie mit auf eine spannende und lehrreiche Zeitreise.

Yvette Z’Graggen hatte ein bewegtes Leben: In der Kindheit noch in den Genuss von bürgerlichem Wohlstand gekommen, geht es finanziell bald den Bach runter. Ihr Vater verliert nebst seinem Auto auch seine hart erarbeitete Zahnarztpraxis, beginnt zu trinken. Yvette flüchtet sich in die enge Beziehung zu ihrer Mutter – und ins Schreiben. Schon als Sechsjährige schreibt sie Geschichten, später, während dem Zweiten Weltkrieg, setzt sie sich abends nach getaner Arbeit beim IKRK zu Hause noch an den Schreibtisch. Trotz ersten Erfolgen als Schriftstellerin arbeitet sie weiterhin als Sekretärin, später als Journalistin beim Radio. Die Unabhängigkeit findet sie dann weniger finanziell, als persönlich: Sie lässt sich auf vergebene Männer ein, geniesst ihre Freiheiten, heiratet erst spät.

Sie habe erst im Nachhinein gemerkt, wie unkonventionell es war, als junge Frau ein sexuell freies Leben zu führen, gibt sie später in einem Interview an, in dem die Westschweizerin offen und selbstreflektiert von ihrem Leben erzählt. Aufhänger für die Dokumentation ist dann auch ein letztes Interview mit der Schriftstellerin – doch auch weitere TV-Interviews, Fotografien aus ihrem Leben, vorgelesene Passagen aus ihren Büchern sowie nachgestellte Szenen und Aufnahmen von damals lassen während rund 90 Minuten eintauchen in die Biografie von Yvette Z’Graggen. Dass die Zeitreise dabei so fesselnd ist, verdankt die Doku nicht nur ihrem gelungenen Mix aus verschwommenen Fotografien, Aussagen der Portraitierten selbst und Nachstellungen der damaligen Zeit, sondern auch ihrem Beobachtungsgegenstand: Yvette Z’Graggen wuchs zwischen der West- und der Deutschschweiz auf, erlebte sowohl das wohlhabende bürgerliche, als auch das Arbeiterleben, war beruflich in vielen Bereichen tätig, hat privat viel durchgemacht, und war bei alledem immer ihrer Zeit voraus, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.

Der Film geht in seinen Erzählungen linear vor: Von der Geburt an der Rue des Philosophes in Genf bis zur Pension, in der sie künstlerisch noch einmal voll aufblühte, hin zur schweren Krankheit und dem Tod im Jahr 2012. Eine gute Entscheidung – bekommt man als Zuschauer so nicht nur für Yvette Z’Graggens Leben, sondern auch für den zeitlichen Kontext ein Gefühl, in welchem sie aufgewachsen ist. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geboren, hat die Journalistin und Schriftstellerin den Zweiten Weltkrieg als junge Erwachsene mitbekommen und die konservativen Nachkriegsjahre hautnah miterlebt, kulturelle Differenzen zwischen den Sprachregionen am eigenen Leib erfahren. Und blieb bis ins hohe Alter selbstreflektiert: Zum Beispiel gegenüber der Rolle der Schweiz betreffend der Flüchtlingsfrage während dem Krieg, aber auch ihrer ganz persönlichen Haltung zu jüdischen Flüchtlingen damals. Damit ist Yvette Z’Graggen – Une femme au volant de sa vie weitaus mehr als bloss das Biopic einer interessanten Persönlichkeit, sondern ein Stück Geschichte der Schweiz, ihrer Generationen und Eigenheiten, die anhand der Erlebnisse einer einzelnen Person aufgerollt wird.

20.02.2024

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