Sieranevada Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Frankreich, Nord Mazedonien, Rumänien 2016 – 173min.

Filmkritik

Ein episches Kammerspiel

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Die Kamera beobachtet eine Familie in einer Bukarester Wohnung bei einer Trauerfeier. Mehr passiert in dem intensiven Drama Sieranevada praktisch nicht. Langatmigkeit oder gar Langeweile kommen dennoch nicht auf. Der Film beweist, dass man auch mit minimalistischem Ansatz, ein Maximum an Emotion und Beklemmung hervorrufen kann.

Lary (Mimi Branescu) ist in seine rumänische Heimat zurückgekehrt. Gemeinsam mit seiner Frau besucht er seine Familie in Bukarest. Der Grund des Besuchs: Man möchte an seinen Vater erinnern, der vor 40 Tagen gestorben ist. Das Essen ist fast fertig, nur der Priester lässt noch auf sich warten. Während die Minuten verstreichen, versammeln sich auf wenigen Quadratmetern die Familienmitglieder, die hinsichtlich ihrer politischen Überzeugungen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Sieranevada stammt von dem rumänischen Filmemacher Cristi Puiu, der sein neustes Werk für knapp anderthalb Millionen Dollar in Bukarest realisierte. Der Durchbruch gelang ihm mit der von schwarzem Humor durchzogenen Tragikomödie Der Tod des Herrn Lazarescu, die 2005 in Cannes den Hauptpreis der Nebenreihe "Un certain regard", gewann. Sieranevada lief im offiziellen Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2016.

Auf engstem Raum kommt es hier zur Kollision mannigfaltiger Überzeugungen und Ansichten, vor allem moralischer und politischer Art. So treffen u.a. Anhänger des Diktators Ceaușescu mit ihren sozialistischen Ansichten auf glühende Verehrer der alten Monarchie bzw. von König Karl I. In den Gesprächen spielt dabei die nostalgische Verklärung der Vergangenheit, stets eine große Rolle. Doch egal ob Kommunist, Royalist oder Demokrat: auf gewisse Weise steht jeder in der Familie für eine innerlich zutiefst gespaltene Gesellschaft. Die Gesellschaft eines Landes, durch das bis heute ein tiefer Riss geht – bedingt durch die vielen politischen Systeme und Umwälzungen.

Und dann gibt es da auch noch einen fanatischen Anhänger von 9/11-Verschwörungstheorien in der Familie. Dieser Umstand trägt nicht gerade zu einer Entspannung der Situation bei. Zumal die Stimmung umso gereizter wird, je länger der Priester auf sich warten lässt und je hungriger die Gäste werden. Denn gegessen wird erst, wenn alle da sind. So bekommt man es im Film des Öfteren zu Hören. Zudem liegt beständig eine unterschwellige Atmosphäre der Bedrohung, in der Luft. Und das, obwohl die Gästeschar bei ihren Streitigkeiten praktisch nie richtig ausfällig oder laut wird.

Sicherlich trägt die Enge des Handlungsortes ihren entscheidenden Teil dazu bei. Die winzige Wohnung sorgt für Beklemmung und fast scheint es, als raube sie einem ab und an die Luft zum Atmen. Ein außergewöhnlicher Film, der mit minimalen Mitteln, das Maximum an Emotionen beim Zuschauer hervorruft.

22.10.2019

4

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