Zwei Tage, eine Nacht Belgien, Frankreich, Italien 2014 – 95min.

Filmkritik

Humanistische Klarheit

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Es mag schwerer zu finden sein in den Tagen von Superhelden-Filmen und Kommerzspektakeln. Doch das soziale Kino, dessen Herz links schlägt und das sich gesellschaftspolitischen Themen mit Engagement und Mitgefühl annimmt, ist nicht tot. Demnächst etwa ist die wunderbare britische Komödie Pride auf Schweizer Leinwänden zu sehen. Und mit Deux jours, une nuit melden sich auch die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne wieder zurück.

Die beiden stehen repräsentativ für eben diese Art des Kinos wie sonst wohl nur der Brite Ken Loach. Anders als ihr Kollege allerdings geben sich die zweifachen Cannes-Gewinner mit Filmen wie Rosetta, L'enfant oder Le silence de Lorna kaum je kämpferisch, sondern wählen meist den bisweilen fast schon dokumentarisch anmutenden Stil des Beobachtens. Nicht ohne Empathie, aber nüchtern und mit grösstmöglicher Authentizität erzählen sie Geschichten aus den Arbeitervierteln ihrer Heimat, von Strassenkindern, illegalen Einwanderern oder jugendlichen Straftätern.

Zuletzt hatten sie bei Le gamin au vélo erstmals mit einer prominenten Schauspielerin zusammengearbeitet, Sonnenschein und verhaltener Optimismus hielten unerwartet Einzug in ihre Arbeit. Diese neue Richtung behalten die Dardennes nun auch bei Deux jours, une nuit bei. Niemand anderes als Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard nämlich spielt ihre neue Protagonistin Sandra.

Die Ehefrau und Mutter hat aufgrund ihrer Depression lange bei der Arbeit gefehlt und schon kurz nach ihrer Rückkehr erfährt sie, dass sie ihren Job nun verlieren soll. Der Chef stellt ihre 16 Kollegen vor die Wahl: Entweder gibt's für jeden einen 1000 Euro-Bonus oder Sandra darf die Stelle behalten. Bei einer ersten Abstimmung haben sich die meisten für das Geld und gegen die Solidarität entschieden. Doch als sie mit einer Wiederholung eine letzte Chance bekommt, hat die zwischen Resignation und Kampfeswillen schwankende Sandra noch ein Wochenende - also zwei Tage und eine Nacht lang - Zeit, die anderen Angestellten auf ihre Seite zu ziehen.

Dieses Dilemma, das die Protagonistin immer wieder an den unterschiedlichsten Wohnungstüren klingeln lässt, wirkt für Dardenne-Verhältnisse ungewohnt konstruiert: Welcher sparwütige Chef lässt schon seine Angestellten über eine Kündigung abstimmen? Erstaunlicherweise tut das dem Realismus von Deux jours, une nuit jedoch ebenso wenig Abbruch wie das Betteln um Solidarität für Langeweile sorgen würde. Im Gegenteil: In der Begegnung mit ihren Kollegen verschmelzen die Dardennes die Momentaufnahmen vieler Einzelschicksale zu einem vielschichtigen, aber eben doch auch einheitlichen Bestandsaufnahme einer Kleinstadt-Arbeiterwelt, wie sie wohl derzeit in Europa überall ähnlich sein dürfte.

Die feinsinnige Sensibilität und humanistische Klarheit, mit der die Regisseure dabei einmal mehr moralische wie soziale Fragen in den Raum stellen und verhandeln, ohne sich erhobener Zeigefinger, Pathos oder simpler Antworten zu bedienen, machen Deux jours, une nuit dabei ohne Frage zu einem nicht nur sympathischen, sondern wichtigen und zeitgemässen Film. Und Marion Cotillard fernab allen Glamours dabei zuzusehen, wie auch dank Mitgefühl und Unterstützung von aussen (nicht zuletzt durch ihren Ehemann) trotz Rückschlägen an Stärke gewinnt, macht ihn zu einem ungemein bewegenden.

08.02.2017

5

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Kommentare

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Barbarum

vor 7 Jahren

Einmal mehr gewinnen die Gebrüder Dardenne Dramatik aus einer alltäglichen Situation, allerdings ist dieser Realismus doch auch recht repetitiv und ziemlich vorhersehbar gestaltet.


revegele

vor 9 Jahren

Ein wunderbarer Film, für den Marion Cotillard nun zurecht für den Oscar als beste Hauptdarstellerin (2015) nominiert wurde. Der Weltstar (wie die Sonntagszeitung schrieb) zeigt sich völlig ungeschminkt und in der Rolle als kleine Angestellte äusserst überzeugend.


8martin

vor 9 Jahren

Es ist durchaus ein lobenswertes Thema, das die Dardenne-Brüder hier aufgreifen: die Arbeitslosigkeit. Und auch die Psychostudie, die sie daraus gemacht haben, ist nicht schlecht. Es werden die geläufigsten Argumente ausgetauscht wie Lohnverzicht, Solidarität, die auf Kante genähten Budgets der Kollegen, menschliche Nähe im Vergleich zur realen Arbeitswelt und die psychische Belastung, die daraus entsteht. Es gilt der Grundsatz ‘Ohne Arbeit bist du ein Nichts‘. Sandra (Marion Cotillard) läuft am Rande des Nervenzusammenbruchs von einem Kollegen zum anderen, in der Hoffnung sie zu bewegen, gegen ihre Entlassung zu stimmen. Ein fieser Trick des Arbeitgebers.
Der kommt erst ganz am Ende zu Wort und überrascht mit einer Offenbarung, die alle zufrieden stellt. Das ist etwas unglaubwürdig. Wieso sollte das Kapital plötzlich zurückrudern? Die Belegschaft ist auseinander dividiert: fifty: fifty. Man weiß, wo die ‘Rebellen‘ sitzen. Es gibt keinen Grund von Seiten der Arbeitgeber verständnisvolle Rücksicht zu üben. Zumal klar gesagt wurde, dass der Job auch mit einer Stelle weniger gemacht werden kann.
Aktueller Ansatz mit unrealistischem Finale doch einer durchaus glaubwürdigen Marion Cotillard, die den Film trägt. Die Kamera sitzt ihr dabei so dicht und permanent im Nacken, dass keine andere Figur Konturen gewinnen kann. Weder der Ehemann (Fabrizio Rongione), noch eine Kollegin, in deren Ehe sie eigenartigerweise Klarheit schafft: die Kollegin verlässt ihren machohaften Ehemann.
Abgesehen vom Ende ganz gut.Mehr anzeigen


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