Ghosted Deutschland, Taiwan 2009

Filmkritik

Zwischenwelten, zwischen Welten

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Über kulturelle und raum-zeitliche Grenzen hinweg entspinnt sich im neuesten Werk der erfahrenen Independent-Ikone Monika Treut eine unaufgeregt erzählte lesbische Dreiecksbeziehung. In ihrem ersten Spielfilm seit 18 Jahren wagt die Filmemacherin einen ambitionierten Spagat zwischen unterschiedlichen Innen- und Außenwelten mit erzählerischem Zentrum in der Zwischenwelt und verwebt die Genres Mystery, Thriller, Lovestory und Krimi zu einem ungewöhnlichen Ganzen.

In einem komplex verwobenen Spiel mit Vor- und Rückblenden, Traumwelten und fast dokumentarisch anmutender Realität entblättern sich langsam die Facetten von Figuren und Handlung, in deren Zentrum die Liebe der selbstbewussten deutschen Video-Künstlerin Sophie zur schüchternen Taiwanerin Ai-ling steht, die in Hamburg nach ihrem Vater forscht.

Auch Monate nach Ai-lings Tod lassen dessen mysteriösen Umstände und ihre eigenen Schuldgefühle die trauernde Sophie bei ihrer Vernissage in Taipeh nicht los. In Gestalt einer Art «Wiedergängerin» der Verstorbenen, der vermeintliche Journalistin Mai-li, die sich beachtlich beharrlich an Sophies Fersen heftet und ihr sogar nach Hamburg folgt, wird Sophie zurückgeworfen auf die offenen Fragen ihrer großen, aber beileibe nicht ungetrübten vergangenen Liebe. War Sophie zunächst derart fasziniert von Ai-ling, dass sie einen Film über sie drehte und sie sogar zu sich ziehen ließ, prallten bald auch in dieser Beziehung die unterschiedlichen Mentalitäten aufeinander: Während Sophie sich in ihrer Arbeit vergräbt, verständnislos auf Ai-lings enges Verhältnis zu ihrer Mutter inTaiwan blickt und die Vehemenz, mit der sie in Hamburg die Nachforschungen über ihren Vater betreibt zunehmend befremdlich findet, fühlt Ai-ling sich einsam, wird eifersüchtig und sucht schließlich nach eigenen Kontakten in Hamburg - Kontakten, die schließlich indirekt mit für ihren Tod verantwortlich werden. Ein Tod, der ebenso wie die Gestalt Mai-lis in den verschiedenen Welten Taiwan und Deutschland sehr unterschiedlich gesehen und gefühlt wird.

So eigen der Blick ist, den die feministische Filmemacherin Monika Treut, die zuletzt mit «Tigerfrauen wachsen Flügel» ein viel beachtetes dokumentarisches Generationenporträt taiwanesischer Frauen vorlegte, auf ihr Sujet der im feministischen Diskurs aktuell viel diskutierten «weiblichen Geister» wirft - die wesentlichen Qualitäten von «Ghosted» liegen abseits von Genrewirren und Genderdebatten. Besonders in den Nebenhandlungen gelingt der erfahrenen Dokumentarfilmerin ein feinfühliges Porträt taiwanesischer Befindlichkeiten: Im Hamburger China-Restaurant sind die Familienmitglieder in ein feinmaschiges Netz von Fleiß- und Aufopferungsideologie verstrickt, die traditionelle asiatische Mutterrolle wandelt sich nicht nur in der deutschen Diaspora und die Begegnungen von Sophie mit Alltagswelt, Kulturbranche und Mythologie Taiwans werden fernab von Kolportage und im enttarnenden Spiel mit Klischees eindringlich geschildert.

«Ghosted» erzählt überhöht, aber nicht pathetisch, betrachtet seine Charaktere einfühlsam und lässt ihnen doch ihr Geheimnis. Einzig im Visuellen irritiert der zwischen zum Teil gewollt luzider Bildwelt und dokumentarischem Stil pendelnde, von «Low-Budget-Flair» geprägte Look streckenweise, wobei die reduzierte Bildsprache andererseits immer wieder - im Zusammenspiel mit einem atmosphärischen Soundtrack - für große Momente sorgt.

Eine anrührende Liebesgeschichte, einen sinnlicher Grusel und nicht zuletzt eine nachdenklich stimmende kulturelle Studie auf hohem schauspielerischem Niveau vereint dieses vielseitige Projekt, auch wenn nicht immer alle der erzählerischen und ästhetischen Wagnisse uneingeschränkt geglückt sind.

30.04.2009

4

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